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born, den Niederländern, den Engländern, um zweihundert Jahre
zurückgeworfen. —
Noch größer sind die Veränderungen, welche der Krieg in dem
geistigen Leben der Nation gemacht hat. Vor andern bei den
Landleuten. Viele alte Bräuche gingen zugrunde, das Leben wurde
leerer, leidvoller. An die Stelle des alten Hausrats sind die
rohesten Formen moderner Möbel getreten; die kunstreichen Kelche
und alten Taufbecken, fast aller Schmuck der Kirchen war ver¬
schwunden; eine geschmacklose Dürftigkeit ist in den Dorfrirchen
bis jetzt geblieben. Mehr als hundert Jahre nach dem Kriege vege¬
tierte der Bauer fast ebenso eingepfercht wie die Stücke seiner Herde,
während ihn der Pastor als Hirt bewachte und durch das Schreck¬
bild des Höllenhundes in Ordnung hielt, und der Gutsbesitzer oder
sein Landesherr alljährlich abschor. Eine lange Zeit dumpfen
Leidens. Die Getreidepreise waren in dem menschenarmen Lande
fünfzig Jahre nach dem Kriege sogar niedriger als vorher, die
Lasten aber, welche auf die Grundstücke gelegt wurden, so hoch
gesteigert, daß noch lange der Acker mit Haus und Hof geringen
Wert hatte, zuweilen umsonst gegen die Verpflichtung gegeben
wurde, Dienste und Lasten zu tragen. Härter als je wurde der
Druck der Hörigkeit, am ärgsten in den früheren Slawenländern,
in denen ein zahlreicher Adel über den Bauern saß. Häufig beklagt
sind die Schäden der Bildung, welche in den ausgeplünderten
Städten und Rittersitzen zutage kamen, zunächst wieder Lurus, Ge¬
nußsucht und Liederlichkeit, Mangel an Eemeinsinn und Selbst¬
gefühl, Kriecherei gegen Vornehme, Herzlosigkeit gegen Niedere.
Es find die uralten Leiden eines heruntergekommenen Geschlechts. —
Gustav Freytag,
101. Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst.
1. Schwerer Regierungsantritt.
Im noch nicht vollendeten zwanzigsten Lebensjahre trat Fried¬
rich Wilhelm das Erbe seiner Väter an: die Regierung über, ein
verwüstetes Land und ein durch die langen Kriegsleiden bis zum
äußersten Elend herabgekommenes Volk. Die drei Hauptteile seines
Gebietes waren durch kein gemeinschaftliches Band verbunden, ja
kaum vermochte der Kurfürst selbst sich ihren Herrn zu nennen.
In seinem ältesten Erblande, der Mark Brandenburg, schalteten