Full text: [Stufe 3, [Schülerband]] ([Stufe 3, [Schülerband]])

— 62 — 
arme Mann nichts weiß; denn es gibt Krankheiten, die nicht in der 
Luft stecken, sondern in den vollen Schüsseln und Gläsern und in den 
weichen Sesseln und seidenen Betten, wie jener reiche Amsterdamer ein 
Wort davon reden kann. Den ganzen Vormittag saß er im Lehnsessel 
und rauchte Tabak, wenn er nicht zu träge war, oder hatte Maul⸗ 
affen feil zum Fenster hinaus, aß aber zu Mittag doch wie ein 
Drescher, und die Nachbarn sagten manchmal: „Windet's draußen, 
oder schnauft der Nachbar so?“ — Den ganzen Nachmittag aß und 
trank er ebenso, bald etwas Kaltes, bald etwas Warmes, ohne 
hunger und ohne Appetit, aus lauter Langerweile bis an den Abend, 
also daß man bei ihm nie recht sagen konnte, wo das Mittagessen 
aufhörte und wo das Nachtessen anfing. Nach dem Nachtessen legte 
er sich ins Bett und war so müde, als wenn er den ganzen Tag 
Steine abgeladen oder holz gespalten hätte. Davon bekam er zuletzt 
einen dichken Leib, der so unbeholfen war wie ein Maltersack. Essen 
und Schlaf wollten ihm nimmer schmecken, und er war lange Zeit, 
wie es manchmal geht, nicht recht gesund und nicht recht krank; 
wenn man aber ihn selber hörte, so hatte er 365 Krankheiten, 
nämlich alle Tage eine andere. Alle ärzte, die in Amsterdam sind, 
mußten ihm raten. Er verschluckte ganze Feuereimer voll Arzneien 
und ganze Schaufeln voll Pulver und Pillen, wie Enteneier groß, 
und man nannte ihn zuletzt scherzweise nur die zweibeinige Apotheke. 
Aber alle Arzneien halfen ihm nichts, denn er befolgte nicht, was 
ihm die ärzte befahlen, sondern sagte: „Wofür bin ich ein reicher 
Mann, wenn ich soll leben wie ein Hund, und der Doktor will mich 
nicht gesund machen für mein Geld?“ 
Endlich hörte er von einem Arzte, der hundert Stunden weit weg 
wohnte, der sei so geschickt, daß die Kranken gesund würden, wenn 
er sie nur recht anschaue, und der Tod gehe ihm aus dem Wege, wo 
er sich sehen lasse. Zu dem Arzte faßte der Mann ein Zutrauen und 
schrieb ihm seinen Umstand. Der Arzt merkte bald, was ihm fehlte, 
nämlich nicht Arznei, sondern Mäßigkeit und Bewegung, und sagte: 
„Wart, dich will ich bald gesund machen!“ Deswegen schrieb er ihm 
ein Brieflein folgenden Inhaltes: „Guter Freund, Ihr seid in einer 
schlimmen Lage; doch wird Euch zu helfen sein, wenn Ihr folgen wollt. 
Ihr habt ein böses Tier im Leibe, einen Lindwurm mit sieben 
mãäulern. Mit dem Lindwurme muß ich selber reden, und Ihr müßt
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.