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eiligst fliehen mußten. Da wollte der Meister ihn gern los sein. Er
schickte ihn daher tief in den Wald, um Kohlen für die Schmiede zu
holen. Auf diesem Wege mußte er bei dem Lindwurm vorbei, einem
furchtbaren Drachen, der jeden auffraß, der in seine Nähe kam. Der
Schmied hoffte, der werde ihn von dem mutwilligen Knaben befreien.
Aber Siegfried fürchtete sich nicht; mutig ging er auf das Untier los
und tötete es. Als er noch weiter in den Wald kam, wimmelte es von
Drachen und Schlangen. Siegfried aber warf Reisig und Holz auf
sie, zündete alles an und verbrannte die Tiere. Mit Staunen sah er,
daß ihre Hornhaut schmolz. Nun badete er sich in dem Drachenblnt,
wodurch sein ganzer Leib mit einer Hornhaut überzogen wurde, so daß
kein Speer, kein Pfeil, kein Schwert ihn verwunden konnte. Nur eine
einzige Stelle an der Schulter blieb von dem Drachenblnt unberührt,
weil ein Lindenblatt darauf gefallen war.
Als ans dem Knaben ein Jüngling geworden war, verrichtete er
viele kühne Taten ^denn er war riesenstark und von hohem Mute. Einst
kam er zu den Königssöhnen Schilbung und Nibelung, die eben den
Schatz ihres Vaters teilen wollten. Dieser Schatz war so groß, daß
ihn hundert Wagen nicht fortführen konnten. Siegfried teilte denselben
und erhielt zum Lohne dafür ein starkes Schwert, Balmung genannt.
Allein da sie mit der Teilung des Schatzes nicht zufrieden waren, über¬
fielen ihn die Könige mit mehr als hundert starken Necken. Alle aber
überwand und tötete er. Nun war da ein Zwerg von gewaltiger Kraft
mit Namen Alberich, der besaß die Tarnkappe, die denjenigen un¬
sichtbar machte, der sie trug. Alberich, seinen Herren treu ergeben, wollte
ihren Tod rächen; allein so stark er war, er mußte doch der Kraft Sieg-
frieds erliegen. Aber dieser schenkte ihm das Leben; dafür mußte er
geloben, den Nibelungenhort treu zu bewachen. So hatte der starke
Siegfried ein mächtiges Schwert, einen unermeßlichen Schatz, das Land
der Nibelungen und die Tarnkappe erworben. Nun kehrte er zu seinem
Vater Siegmund zurück. Derselbe veranstaltete ein großes Fest, an
dem Siegfried und viele andre junge Helven mit dem Ritterschwert
umgürtet wurden. Der König aber verlieh dem tapfern Sohne sein
Land mit allen seinen Burgen. Dieser hatte nun die Wildheit seiner
Jugend abgelegt und wurde ein edler Held, dessen Ruhm durch alle
Lande erscholl.
K ri e m h i l d. In dem Lande der Burgnnden, zu Worms am Rhein,
wuchs eine Königstochter auf mit Namen Kriemhild. Sie war nicht
allein schön, sondern auch wegen ihrer Tugenden bei allen Frauen be-
liebt. Sie wohnte bei ihren Brüdern Günther, Gernot und Giesel-