Full text: Deutsches Lesebuch ([Teil 1, [Schülerbd.]])

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62. Anäblein und Wind. 
Georg Lang. 
Hausschwalben. Wiesbaden. 1881. 8. 33. 
Zum Knäblein sprach der lose Wind: 
„Komm, spiel' mit mir, du liebes Kind!" 
Das Knäblein lief dem Winde nach, 
doch endlich ward es müd' und sprach: 
5. „Ach, lieber Wind, ich plag' mich sehr, 
nun kehr' ich um, ich mag nicht mehr." — 
Da hat der Wind in großer Hast 
voll Zorn des Knäbleins Hut gefaßt 
und rief ihm zu: „Den nehm' ich dir, 
10. weil du nicht spielen willst mit mir!" 
Der Hut flog mit dem Wind davon, 
das arme Büblein weinte schon, 
da faßt' der Rosenstrauch im Land 
mit seinem-Dorn den Hut am Band 
15. und hielt ihn, bis der Knabe kam 
und in den Arm das Hütlein nahm. 
Nun fuhr der Wind dem Kleinen gar 
voll Zorn ins blonde Lockenhaar, 
das Knäblein aber lacht und spricht: 
20. „Du nimmst mir meine Locken nicht!" 
„Warum nicht?" schrie der böse Wind. 
„Ei, weil sie angewachsen sind!" 
63. 8er Kuhhirt. 
Friedrich Krummacher. 
Parabeln. II. Bändchen. 7. Ausgabe. Essen. 1840. 8. 184. 
(Parabeln. III. Bändchen. 1. Auflage. Essen und Duisburg. 1817. No. 35. 8. 114.) 
1. Ein Knabe weidete ein Rind auf einem Grasplatze neben einem 
Garten. Als er nun in die Höhe sah nach einem Kirschbaume, merkte 
er, daß einige reife Kirschen darauf saßen, die glänzten ihm rötlich 
entgegen, und es gelüstete ihn, sie zu pflücken. Da ließ er das Tier 
und kletterte auf den Baum. Die Kuh aber, da sie den Hirten nicht 
sah, ging davon und brach in den Garten und fraß Blumen und 
Kräuter nach ihrem Geliiste, anderes zertrat sie mit den Füßen. 
2. Als der Knabe solches sah, ward er sehr entrüstet, sprang 
von dem Baum auf die Erde, lies hin, ergriff das Rind und zerschlug 
und schmähte es jämmerlich. Da trat der Vater, der alles gesehen 
hatte, zu dem Knaben und sah ihn ernstlich an und sprach: „Wem 
gebührt solche Züchtigung, dir oder dem Tiere, welches nicht weiß, was 
rechts oder links ist? Bist du minder deinem Gelüste gefolgt als das 
Tier, welches du leiten solltest? Und nun übst du solch ein unbarmherzig 
Gericht und vergissest deiner Vernunft und deiner eigenen Sünde?" 
Da schämte sich der Knabe und errötete vor dem Vater.
	        
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