Full text: Deutsches Lesebuch ([Teil 1, [Schülerbd.]])

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121. Der Nabe und -er Fuchs. 
Gottholcl Lessing. 
[Zuerst in :] Fabeln. Berlin. 1759. S. 53. 
1. Ein Rabe trug ein Stück vergiftetes Fleisch, das der erzürnte 
Gärtner für die Katzen seines Nachbars hingeworfen hatte, in seinen 
Klauen fort. Und eben wollte er es auf einer alten Eiche verzehren, 
als sich ein Fuchs herbeischlich und ihm zurief: „Sei mir gesegnet, 
Vogel des Jupiters!" — „Für wen siehst du mich an?" fragte der 
Rabe. — „Für wen ich dich ansehe?" erwiderte der Fuchs; „bist du 
nicht der rüstige Adler, der täglich von der Rechten des Zeus auf 
diese Eiche herabkommt, mich Armen zu speisen? Warum verstellst du 
dich? Sehe ich denn nicht in der siegreichen Klaue die erflehte Gabe, 
die mir dein Gott durch dich zu schicken noch fortfährt?" 
2. Der Nabe erstaunte und freute sich innig, für einen Adler 
gehalten zu werden. „Zch muß," dachte er, „den Fuchs aus diesem 
Irrtume nicht bringen." — Großmütig dumm ließ er ihm also seinen 
Raub herabfallen und flog stolz davon. Der Fuchs fing das Fleisch 
lachend auf und fraß es mit boshafter Freude. Doch bald verkehrte 
sich die Freude in ein schmerzhaftes Gefühl; das Gift fing an zu 
wirken, und er starb?) 
122. Gelbet eines kleinen Knaben an den 
heiligen Christ. 
Moritz Ärndt. 
Gedichte. Vollständige Sammlung. Berlin. 1860. S. 186. 
(Gedichte. II. Teil. Frankfurt a. M. 1818. S. 21.) 
1. Du lieber heilger frommer Christ, 
der für uns Kinder kommen ist, 
damit wir sollen weiß und rein 
und rechte Kinder Gottes sein, 
2. Du Licht, vom lieben Gott gesandt 
in unser dunkles Erdenland, 
du Himmelskind und Himmelsschein, 
damit wir sollen himmlisch sein, 
3. Du lieber heilger frommer Christ, 
weil heute dein Geburtstag ist, 
*■ drum ist auf Erden weit und breit 
bei allen Kindern frohe Zeit. 
4. 0 segne mich, ich bin noch klein; 
o mache mir den Busen rein, 
o bade mir die Seele hell 
in deinem reichen Himmelsquell! 
5. Daß*ich wie Engel Gottes sei 
in Demut und in Liebe treu, 
daß ich dein bleibe für und'für, 
du heilger Christ, das schenke mir! lsn. 
Ü Jupiter (bei den Römern) oder Zeus «bei den Griechen), der 
oberste und mächtigste der Götter. — 2) Original: verreckte.
	        
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