370
aber graues oder fast ganz weibes Haar steht so dicht, dab man
die Haut nicht sehen Kann, wenn man es auseinander schiebt; so
gewährt es denn hinreichenden Schutz gegen die Kälte. Seine
Nahrung, das Moos, scharret das Tier mit den Klauen hervor;
und diese sind so breit, dab es sogar auf Sümpfen weiden kann,
also um so weniger in den festen Schnee versinkt. — do vergeht
der Winter. Beim Lintritt des Frühlings zieht der Lappe mit
seiner Herde an die Bergabhänge, steigt im Sommer mit ihr auf
die Berghöhen und bleibt hier, bis die Sonne in höchster Hitze
brennt. Dann umschwärmen ganze Wolken von Mücken, Schnaken
und Stechfliegen Menschen und Tiere. Der Lappe zündet Tort
an, um durceh den dichten Rauch die quälenden Insekten abzuwehren,
beschmiert sich selber Gesicht und Hände mit Teer; bald aber
verläßt er den Platz. Die Herde zieht nach dem kühlen Meeres—
ufer hin; der Hirt muß mit. Sobald aber der Herbst beginnt, ist
kein Halten mehr; die Tiere sehnen sich nach den Schneegefilden
und würden ihrem Herrn entfliehen, wenn er nicht vorzöge, gut—
willig sie dahin zu führen. Dieselben Wanderungen machen die
Tiere in der Wildheit. In Herden, welche nicht selten 2000—3000
Stück zahlen, ziehen sie von Ort zu Ort. Der Jäger lauert ihnen
auf; aber nur schwer gelingt es ihm, das vorsichtige, kluge Tier
zu überlisten. Es hat eine äuberst scharf«e Witterung und merkt
es seine Nahe, so ist jede Mühe umsonst; der ganze Haufen entflieht
mit WVindesschnelle, und vergebens würde es sein, ihn zu verfolgen.
351. Süditalien.
Der Himmel scheint in Süditalien Monate lang ununterbrochen
wolkenlos und so blau oder noch blauer als bei uns in den schönsten
Frühlingstagen, wenn die Dünste zu weißen Wolken zusammengeflossen
sind. Die Luft ist so rein, daß meilenweit entfernte Dörfer ganz nah
erscheinen. In der Nacht hebt sich das Gebüsch und jeder andere dunkle
Gegenstand unglaublich scharf von der Landschaft ab. Beim bloßen Scheine
der schmalen Mondsichel werfen die Körper starke Schatten, und die
Sterne, die in ungleich größerer Zahl und Pracht als bei uns erscheinen,
geben Licht genug, um lesen zu können. Über Himmel, Erde und Meer
ist den Tag über eine Heiterkeit und Klarheit und bei Sonnenuntergang
eine Farbenglut verbreitet, die unaussprechlich ist.
Auch das südliche Meer muß ich erheben. Sobald man sich im
Golf von Neapel so weit vom Ufer entfernt hat, daß der Grund nicht
mehr durchscheint, ist die See, besonders im Schatten des Fahrzeugs, vom
schönsten, reinsten Indigoblau; doch wechseln die Farben beständig in den
mannigfaltigsten Abstufungen. — Herrlich ist auch der hüpfende Sonnen—
und Mondglanz auf dem mäßig bewegten Meere. — Nachts, besonders
im Sommer und nach Gewittern, schimmern die Wellen in mattem, phos—
phorischem Lichte; um des Fischers Ruder sprühen Funken, und die Spur
seiner Barke ist Feuer. Dies rührt von Millionen sonst unsichtbarer Be—
wohner des Meeres her, deren Leuchten durch eine stärkere Bewegung des