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steiniger wird die Straße. Aschgraue Hügel, ausgezackte, über—
einander getürmte Steinblöcke, Dornen und Disteln zwischen den
Felsspalten; die ganze Gegend ein Bild der traurigsten Verödung.
Auf der letzten Höhe eröffnet sich allmählich ein welterer Gesichto—
kreis. Im Osten tritt mehr und mehr hohes Gebirge hervor, ein—
fach lang dahingestreckt. Es ist das moabitische Gebirge jenseit
des Toten Meeres. Näher herzu taucht eine olivenbekränßzte Höhe
empor; dies ist der Olberg. Bald darauf erscheinen hohe Türme,
schlanke Minarets, mächtige Kuppelgebäude, breite Mauern, sie
ordnen sich nach und nach zu einer quer über die Flachhöhe aus—
gebreiteten Stadt. Sie hat nichts von Größe, Pracht und Erhaben—
heit, was sie vor anderen Städten des Morgenlandes auszeichnete,
und doch ist etwas Unvergleichliches in ihr. Ein feierlicher Ernst,
ein schwermutsvoller, rührender Reiz ist über sie ausgegossen, der
bis zu Thränen hinreißt. Es ist rn alem, die gefeiertste unter
allen Städten der Erde, die jedem Christenkinde früher bekannt und
wert wird als der Name seines Vaäterlandes, die der heimatlose
Wraelit sich zur Sterbestätte ersehnt, und für welche selbst der
Mohammedaner keinen anderen Namen hat als den der Heiligen
(El Kuds).
Welche Erinnerungen aus drei Jahrtausenden drängen sich in
diesem Bilde zusammen! und welch eine herzerschütternde Sprache
reden diese Hügel, die Steine, Mauern und Türme! Jerusalem ist
älter als Rom, die Weltbeherrscherin, und die Propheten versichern
sie einer Zukunft, die an das Ende der Tage rührt. Der Ursprung
dieser Stadt geht bis in ein Altertum zurück, in welches selbst die
Sage nicht hinüberreicht. Als die Zeit erfüllet war, stand Jerusalem,
die Lieblingstochter des Morgenlandes, festlich bereitet wie eine
Braut zum Empfange des Bräutigains. Christus erschien, in
welchem alle Verheißungen an das Volk Israel sich erfüllen sollten;
es hat seinen Messias von sich gestoßen und sein Herz verschlossen
vor dem, der da gekommen war, das Verlorene zu suchen und die
Kinder der Knechtschaft frei zu machen durch die Wahrheit. Da
kam das Gericht über die Stadt und das Volk.
Später schmückten fromme Kaiser die Wiege des Christentums
und das Grab des Erlösers mit dem Glanze der Kirchen und
Kapellen. Aber wer möchte sie alle zählen die Thränen, welche über
diese Stätte geweint sind; wer vermöchte zu sagen, wie viel Blut
geflossen über die Steine der Stadt, und wie viel Flammenwogen
sich über diese Hügel wälzten! Zu unzähligenmalen erstürmt,
verwüstet, aufgebaut und zerstört, steht sie noch immer wie auf
ewige Berge gegründet. Alle Völker der alten und neuen Zeit,
welche jemals um die Herrschaft der Welt gestritten, haben aäuch
diese Stadt unter ihre Füße getreten! und doch hat Jerusalem aller
Welt das Herz abgewonnen und hält die Volker der Erde in un
sichtbaren Banden gefangen. „Sie haben mich oft gedrängt von
meiner Jugend auf, die Pflüger haben auf meinem Rücken geackert