Full text: [Teil 3, [Schülerbd.]] (Teil 3, [Schülerbd.])

167 
steiniger wird die Straße. Aschgraue Hügel, ausgezackte, über— 
einander getürmte Steinblöcke, Dornen und Disteln zwischen den 
Felsspalten; die ganze Gegend ein Bild der traurigsten Verödung. 
Auf der letzten Höhe eröffnet sich allmählich ein welterer Gesichto— 
kreis. Im Osten tritt mehr und mehr hohes Gebirge hervor, ein— 
fach lang dahingestreckt. Es ist das moabitische Gebirge jenseit 
des Toten Meeres. Näher herzu taucht eine olivenbekränßzte Höhe 
empor; dies ist der Olberg. Bald darauf erscheinen hohe Türme, 
schlanke Minarets, mächtige Kuppelgebäude, breite Mauern, sie 
ordnen sich nach und nach zu einer quer über die Flachhöhe aus— 
gebreiteten Stadt. Sie hat nichts von Größe, Pracht und Erhaben— 
heit, was sie vor anderen Städten des Morgenlandes auszeichnete, 
und doch ist etwas Unvergleichliches in ihr. Ein feierlicher Ernst, 
ein schwermutsvoller, rührender Reiz ist über sie ausgegossen, der 
bis zu Thränen hinreißt. Es ist rn alem, die gefeiertste unter 
allen Städten der Erde, die jedem Christenkinde früher bekannt und 
wert wird als der Name seines Vaäterlandes, die der heimatlose 
Wraelit sich zur Sterbestätte ersehnt, und für welche selbst der 
Mohammedaner keinen anderen Namen hat als den der Heiligen 
(El Kuds). 
Welche Erinnerungen aus drei Jahrtausenden drängen sich in 
diesem Bilde zusammen! und welch eine herzerschütternde Sprache 
reden diese Hügel, die Steine, Mauern und Türme! Jerusalem ist 
älter als Rom, die Weltbeherrscherin, und die Propheten versichern 
sie einer Zukunft, die an das Ende der Tage rührt. Der Ursprung 
dieser Stadt geht bis in ein Altertum zurück, in welches selbst die 
Sage nicht hinüberreicht. Als die Zeit erfüllet war, stand Jerusalem, 
die Lieblingstochter des Morgenlandes, festlich bereitet wie eine 
Braut zum Empfange des Bräutigains. Christus erschien, in 
welchem alle Verheißungen an das Volk Israel sich erfüllen sollten; 
es hat seinen Messias von sich gestoßen und sein Herz verschlossen 
vor dem, der da gekommen war, das Verlorene zu suchen und die 
Kinder der Knechtschaft frei zu machen durch die Wahrheit. Da 
kam das Gericht über die Stadt und das Volk. 
Später schmückten fromme Kaiser die Wiege des Christentums 
und das Grab des Erlösers mit dem Glanze der Kirchen und 
Kapellen. Aber wer möchte sie alle zählen die Thränen, welche über 
diese Stätte geweint sind; wer vermöchte zu sagen, wie viel Blut 
geflossen über die Steine der Stadt, und wie viel Flammenwogen 
sich über diese Hügel wälzten! Zu unzähligenmalen erstürmt, 
verwüstet, aufgebaut und zerstört, steht sie noch immer wie auf 
ewige Berge gegründet. Alle Völker der alten und neuen Zeit, 
welche jemals um die Herrschaft der Welt gestritten, haben aäuch 
diese Stadt unter ihre Füße getreten! und doch hat Jerusalem aller 
Welt das Herz abgewonnen und hält die Volker der Erde in un 
sichtbaren Banden gefangen. „Sie haben mich oft gedrängt von 
meiner Jugend auf, die Pflüger haben auf meinem Rücken geackert
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.