Full text: Für die oberen Stufen mehrklassiger Schulen (Teil 2, [Schülerbd.])

119 
— 
„Führet,“ sprach er, ‚mich zu eurem Führer!“ 
Vor ihn trat er, und der schöne Jüngling 
wandte sich; er konnte diesen Anblck 
nicht ertragen. „Fliehe nicht, o Jüngling, 
nicht, o Sohn, den waffenlosen Vater, 
einen Greis! Ich habe dich gelobet 
meinem Herrn und muß für dich antworten; 
gerne geb' ich, willst du es, mein Leben 
für dich hin; nur dich fortan verlassen 
kann ich nicht! Ich habe dir vertrauet, 
dich mit meiner Seele Gott verpfändet.“ 
Weinend schlang der Jüngling seine Arme 
um den Greis, bedeckete sein Antlitz, 
stumm und starr; dann stürzte stati der Antwort 
aus den Augen ihm ein Strom von Thränen. 
Auf die Kniee sank Johannes nieder, 
küßte seine Hand und seine Wange, 
nahm ihn neu geschenket vom Gebirge, 
läuterte sein Herz mit süßer Flamme. 
Jahre lebten sie jetzt unzertrennet 
miteinander; in den schönen Jüngling 
goß sich ganz Johannes' schöne Seele. 
Sagt, was war es, was das Herz 
also tief erkannt' und innig festhielt, 
und es wiederfand und unbezwingbar 
rettete? Ein Sankt-Johannes-Glaube, 
Zutraun, Festigkeit und Lieb und Wahrheit. 
des Jünglings 
132. Freundschaft. 
Das Bild der Alten von der Freundschaft, die beiden inein— 
ander geschlungenen Hände, scheinet mir das beste Sinnbild ihrer 
Vereinigung, ihres Zweckes und Genusses zu sein, bedeutender, als die 
zwei gleich gestimmten Saitenspiele. Diese drücken nichts aus als Ge— 
selligkeit, die lange noch nicht Freundschaft ist. Ein geselliger 
Mensch ist leicht und wohl gestimmt; er stimmt sich selbst leicht zu jeder 
Gesellschaft, und so stimmt sich auch diese leicht zu ihm. Er drückt nie— 
mand mit seinem Dasein, er verengt keinen, und so ist jedermann gern 
um ihn; man ist auch bis auf einen gewissen Grad mit ihm vertraut, 
weil man fühlt, der Mensch habe nichts Arges. Charaktere der Art 
sind zum täglichen Umgange gut. Aber Freundschaft, — welch ein 
anderes, heiliges Band ist diese! Herzen und Hände kunüpft sie zu
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.