129
Doch wachsend erneut sich des Stro—
mes Wut,
und Welle auf Welle zerrinnet,
und Stunde an Stunde entrinnet;
da treibet die Angst ihn, da faßt er sich
Mut
und wirft sich hinein in die brausende Flut
und teilt mit gewaltigen Armen
den Strom, und ein Gott hat Erbarmen.
Und gewinnet das Ufer und eilet fort
und danket dem rettenden Gotte.
Da stürzet die raubende Rotte
hervor aus des Waldes nächtlichem Ort,
den Pfad ihm sperrend und schnaubet
Mord
und hemmet des Wanderers Eile
mit drohend geschwungener Keule.
Was wollt ihr? ruft er, vor
Schrecken bleich;
„ich habe nichts als mein Leben,
das muß ich dem Könige geben.“
Und entreißt die Keule dem nächsten
gleich:
„Um des Freundes willen erbarmet
euch!“
Und drei mit gewaltigen Streichen
erlegt er, die andern entweichen.
Und die Sonne versendet glühenden
Brand,
und von der unendlichen Mühe
ermattet, sinken die Kniee. —
„O, hast du mich gnädig aus Räubers—
hand,
aus dem Strom mich gerettet ans heilige
Land,
und soll hier verschmachtend verderben,
und der Freund mir, der liebende, sterben!“
Und horch! da sprudelt es silberhell
ganz nahe wie rieselndes Rauschen,
und stille hält er zu lauschen.
Und sieh, aus dem Felsen, geschwätzig,
shneũ
springt murmelnd hervor ein lebendiger
Quell,
und freudig bückt er sich nieder
und erfrischet die brennenden Glieder.
Und die Sonne blickt durch der Zweige
Grün
und malt auf den glänzenden Matten
der Bäume gigantische Schatten;
und zwei Wandrer er die Straße
iehn,
will eilenden Laufer vorüber fliehn,
da hört er die Worte sie sagen:
„Jetzt wird er ans Kreuz geschlagen.“
Und die Angstbeflügelt den eilenden Fuß,
ihn jagen der Sorge Qualen;
da schimmern in Wendrots Strahlen
von ferne die Zinnen von Syrakus,
und entgegen kommt ihm Philostratus,
des Hauses redlicher Hüter,
der erkennet entsetzt den Gebieter:
„Zurück! du rettest den Freund nicht
mehr,
so rette das eigene Leben!
Den Tod erleidet er eben.
Von Stunde zu Stunde gewartet' er
mit hoffender Seele der Wiederkehr;
ihm konnte den mutigen Glauben
der Hohn des Tyrannen nicht rauben.“
„Und ist es zu spät, und kann ich
ihm nicht
ein Retter willkommen erscheinen,
so soll mich der Tod ihm bereinen.
Des rühme der blut'ge Tyrann sich nicht,
daß der Freund dem Freunde gebrochen
die Pflicht;
er schlachte der Opfer zweie
und glaube an Liebe und Treue.“
Und die Sonne geht unter, da steht
er am Thor
und sieht das Kreuz schon erhöhet,
das die Menge gaffend umstehet.
An dem Seile schon zieht man den
Freund empor,
da zertrennt er gewaltig den dichten Chor
in Henker,“ ruft er, „erwürget;
da bin ich, für den er gebürget!“
Und Erstaunen ergreifet das Volk umher;
in den Armen liegen sich beide
und weinen vor Schmerzen und Freude.
Da sieht man kein Auge thränenleer,
und zum König bringt man die Wun—
dermär;
der fühlt ein menschliches Rühren,
läßt schnell vor den Thron sie führen.
Wetzel-Büttner, Deutsches Lesebuch. A. 1L. Teil.