148
Nicht daß er seine Geldbörse schüttelte, wenn er den Kuckuck im Früh⸗
jahr zum erstenmal rufen hörte, oder daß er es für ein schlimmes
Zeichen hielt, wenn ihm eine schreiende Elster über den Weg flog, oder
daß er an sein letztes Stündlein dachte, wenn sich der Totenvogel in der
Nachbarschaft hören ließ, oder daß er sich den Tag über besonders in acht
nahm, wenn am Morgen vor seinem Hause eine Henne gekräht hatte. Den
Kuckuck, die Elster und das Käuzlein ließ er schreien, so lange sie wollten.
Er achtete nicht mehr darauf als auf eine summende Fliege an seinem Fenster.
Aber wenn im Spätherbste die ersten Schneegänse hoch über das
Mainthal hinflogen und den Winter ansagten, achtete der reiche Kaufmann
auf ihr Geschrei wie der Kriegsknecht im Feldlager auf den Ruf des
Drommeters, und machte sich auf, allerhand zu thun, daran er im Frühling
nicht dachte.
Er hatte nämlich verschiedene Warenlager, eins immer größer denn
das andere. In dem einen Speicher lagerten Sandelholz und Indigo und
Purpur so viel, daß man damit den ganzen Strom hätte blau und rot
färben können. Der andere Speicher lag voll Zuckerhüte und Kisten von
unten bis oben an, und der Kaufherr wäre nicht in Verlegenheit geraten,
wenn sich alle Frankfurter, vom Bürgermeister bis zum Schuhflicker herab,
auf eine Schale Kaffee angesagt hätten. Und in dem dritten unter der
Erde lagen viele Stückfässer uralten Weines hintereinander. Über dem
Keller stand ein Kornhaus, darinnen große Haufen von Roggen, Gerste
und Weizen aufgeschüttet waren, aber nicht zum Verkauf wie die Spezereien
in den andern Häusern.
Sondern wenn der Kaufherr die ersten Schneegünse hörte, oder sein
Schaffner ihm sagte: „Sie sind da,“ hub er an, zweimal in der Woche in
sein Kornhaus zu gehen und wenig oder viel Scheffel dem Bäckermeister
neben der Domkirche abzumessen. Der buk Brot daraus, den Laib zu drei
oder sechs Pfunden, so weit es reichte. Den andern Tag, wenn es kalt
geworden war, kamen arme Leute und holten es, gaben aber kein Geld
dafür, sondern zeigten nur die Handschrift des Kaufherrn und empfingen
dagegen, was auf dem Blättlein stand.
Und in Sachsenhausen (das ist der am linken Mainufer gelegene Teil
der Stadt Frankfurt) waren zwei Schulen, und darin viele Kinder reicher
und armer Leute durcheinander. Die der reichen ließ der Lehrer vormittags
um die elfte und nachmittags um die dritte Stunde heim und hielt sie
nicht auf; die der armen aber blieben auf ihren Bänken sitzen und
warteten, bis der Knecht des Bäckers kam, einen großen Korb Brot auf
dem Kopfe, und einem jeglichen gab zwei oder drei Wecken, außen so