Full text: [Teil 5 = 6. Schulj., [Schülerbd.]] (Teil 5 = 6. Schuljahr, [Schülerband])

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nachhallende Echo hatte den letzten halben Takt noch nicht ausgeklungen, 
als auch schon alle am gewohnten Versammlungsort eingetroffen waren. 
Es war dies die mannshohe und 8 Schritt ins Geviert messende „Höh¬ 
lung" einer 85 Meter langen und 23 Meter hohen Sandsteinwand. 
5 Jahre lang hatte man schon unter ihr hinweggearbeitet, und bereits 
war man 15 Meter tief eingedrungen, ohne daß auch nur das leiseste 
Anzeichen ihren baldigen Fall angedeutet hätte. Die 24 Steinbrecher 
suhlten sich darum auch am Morgen jenes Wintertages in der Höhlung 
ganz sicher. Lustig knisterte inmitten derselben ein Feuerchen, und ein 
14jähriger Knabe bereitete daran den Kaffee. Alle saßen im Kreise 
umher, um durch warmen Trank und fette Kost von Brot und Speck 
die Kälte aus den steifgefrorenen Gliedern zu treiben. Der alte Linke, 
ein Greis von 68 Jahren und eisenfester Gesundheit, welcher der ganzen 
Gegend als fromm und bibelfest bekannt war, erzählte von den Erd¬ 
stößen, die man kurz vorher in Sachsen verspürt hatte, vom Ausbruche 
des Vesuvs und vom Erdbeben in Lissabon. Man lauscht und hat die 
Zeit vergessen. Da jagt ein dumpfschwerer, markerschütternder Knall 
alle empor. Gleich darauf dröhnt ein zweiter, und mächtiges Geprassel 
folgt. „Ein Erdbeben!" schreien einige Stimmen. „Ja, helf' uns Gott!" 
ruft der alte Linke, „aber von oben." Und im selben Augenblicke zittert 
der Fels um sie her in den Grundfesten. Sie fühlen den Druck der sinken¬ 
den Decke. Grabesfinster wird's im Nu, — und um sie kracht es und 
donnert und zittert. Dann ist's totenstill. Sie sind alle lebendig begraben. 
Alle schweigen. Dann beginnen sie mit leiser Stimme zu rufen: 
„Petters! Heckel! Kühn! Linke! Löser!" — „Hier! Hier!" tönt's 
bei jedem Namensruf aus der dumpfen Finsternis — vier und zwanzig¬ 
mal. Alle sind da, alle leben. Jetzt erst löst sich der Schreck in Worte 
und Thränen. Die steinernen Männer weinen. Aber es ist nichts als 
Schluchzen in dem gemeinsamen Grabe. Des alten Linke Stimme, die 
alle kennen, wird zuerst laut: „Kinder, vertrauet Gott! Man wird uns 
nicht im Stiche lassen. Lasset uns sehen, wie das Gestein liegt, und ob 
wir uns nicht selbst durcharbeiten können. — Ist kein Kien da, um 
Lichtspäne zu machen? Die Bank ist kienig." Späne werden geschlissen, 
und eine Minute darauf erhellt die rote, aufflackernde Flamme die 
furchtbare, niedrige Höhle und die bleichen, angstfahlen Gesichter. Man 
leuchtet umher, — doch da ist alles fest geschlossen, wie vermauert. Eine 
Platte, von der sie wissen, daß sie mindestens 13 Meter dick und von 
festem Stein ist, deckt sie von oben, und das ist ihr Glück. Geschlossen ist 
die Höhle selsentief gegen Leben und Tod von außen. Aber da steht 
nur ein Krug mit Wasser, da sind höchstens noch 10 Pfund Brot, da 
sind noch einige Schnitte Wurst und Speck, — der Tod braucht nicht 
von außen zu kommen, er ist sicher genug mit ihnen eingeschlossen. Und 
es ist so todesstill da unten, auch nicht der leiseste Laut dringt von 
außen her. Sie müssen recht, recht tief begraben sein.- 
Draußen war der Donner des Sturzes weit und breit gehört wor¬ 
den. Im Nu durchlief die Schreckenspost die ganze Gegend. Schnellsten 
Laufes eilten die Arbeitsgenossen der Verunglückten herbei. Schon am
	        
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