— 114 —
Stammes beriet und entschied, so sammelten sich die freien Männer in den
Untergauen, den Hundertschaften, zu gewissen Zeiten an ihren Malstätten,
um ihre engeren Verhältnisse zu ordnen. In diesen kleineren, öfters wieder—
kehrenden Versammlungen bewegte sich mit nicht minderer Regsamkeit das
Leben des Volks. Auch hier erschienen die freien Männer regelmäßig und
nahmen an allem ununterbrochenen Anteil. Es handelte sich ja um ihre
eigensten und nächsten Angelegenheiten; es galt für einen jeden, sein Recht,
seine Freiheit und Ehre zu schützen, denn hier wurde Urteil und Recht
über alle gesprochen, die den Frieden gebrochen, oder sonst sich gegen freie
Männer oder ihr Eigentum vergangen hatten. Die Strafen, auf welche
die Gemeinde selbst unter dem Vorsitz des Fürsten erkannte, waren Bußen,
welche zu Anfang in Rindern und Pferden, dann auch in Geld teils dem
Beschädigten selbst oder dessen Blutsfreunden, teils der Gemeinde gezahlt
wurden. Die Buße für den Totschlag, das Wehrgeld genannt, richtete
sich nach dem Stande des Erschlagenen. Durch die Erlegung desselben
wurde der Frevel gesühnt, und der Thäter erkaufte sich damit aufs neue
den Schutz und den Frieden der Gemeinde; nur wer beharrlich denselben
brach, wurde für friedlos und damit für rechtlos erklärt, alles Schutzes
und Beistandes entblößt und sich selbst überlassen.
In ähnlicher Weise standen endlich auch die, welche auf einem engeren
Gebiete, sei es in einer Dorfschaft oder in Einzelnhöfen, neben einander
wohnten, in dem Verbande der Markgenossenschaft. Die Versammlungen
derselben beschäftigten sich aber nur mit untergeordneten Angelegenheiten,
ohne Bedeutung für das Gesamtleben des Volkes.
4. Familie und Haus.
Das Band der Familie, welches die Blutsverwandten einst unauf⸗
löslich an einander gekettet hatte, war durch die staatliche Vereinigung
zwar bereits gelockert, aber noch immer stark und fest genug. Noch stand
es der Familie zu, wenn einer der Ihren getötet war, zur Selbsthilfe zu
schreiten und Blutrache an dem Mörder zu üben, und häufig wurde der
richterliche Spruch der Gemeinde wie das Wehrgeld verschmäht und der
Frevel blutig gerächt; oft genug trieb dann die Rache zu neuer Rache
Und neuen Freveln, und in endloser Fehde führte ein Geschlecht gegen
das andere die Waffen bis zu seiner gänzlichen Vertilgung. Wenn sich
auch das Recht der Familie der höheren Ordnung des Staats bereits
unterorduen muß, übt es doch noch einen durchgreifenden Einfluß in allen
Lebensverhältnissen. In der Gemeinde vertritt die Familie ihre Glieder,
verteidigt sie und haftet für sie; sie empfüngt das Wehrgeld für den,
der aus ihrer Mitte erschlagen ist; im Kriege stehen die Familiengenossen
bei einander im Heere, wie sie im Frieden nachbarlich wohnen.