Full text: Vom Westfälischen Frieden bis zum Ausbruch des Weltkrieges (Teil 2)

214 IX. Vom Wiener Kongreß bis zur Wiederaufrichtung des Deutschen Kaisertums. 
Kavallerie. Artillerie, alle eilten in wilder Verwirrung in die Festung. 
Um sechs Uhr hißte man auf einem Tore derselben die weiße Fahne. 
Der Schlachtendonner verstummte. Bald darauf erschien General 
Reille, der Generaladjutant Napoleons, vor König Wilhelm und über- 
reichte einen Brief, worin die denkwürdigen Worte standen: „Monsieur 
mon frere. N'ayant pas pu mourir an milieu de nies troupes, 
il ne me reste qu'ä remettre mon epee entre les mains de Votre 
Majeste. Je suis de V. M. le bon frere Napoleon." (Mein Herr 
Bruder! Da ich nicht inmitten meiner Truppen sterben konnte, er- 
übrigt mir nur, meinen Degen in die Hände Ew. Majestät zu legen. 
Ich bin Ew. Majestät guter Bruder N.) Der greise König ersuchte 
um Sendung eines Bevollmächtigten, mit dem die Kapitulation abzu- 
schließen sei. Als solcher erschien General Wimpffen, der nach der 
Verwundung Mac Mahons den Oberbefehl übernommen hatte. 
Deutscherseits würde Moltke mit dem Abschluß der Kapitulation 
beauftragt. Die Verhandlungen, denen auch Bismarck anwohnte, 
wurden in Donchery (westlich von Sedan) gepflogen und dauerten 
die ganze Nacht vom 1. auf den 2. September. Wimpffen schickte sich 
nach längerem Sträuben in das Unvermeidliche und unterzeichnete 
am 2. September früh sechs Uhr die Kapitulationsurkunde, kraft 
welcher sich die ganze französische Armee samt Waffen und Aus- 
rüstung auf Gnade und Ungnade ergeben mußte. 84000 Mann, 
außerdem noch etwa 21000 in der Schlacht selbst gefangene, wurden 
in die Gefangenschaft nach Deutschland abgeführt. Napoleon ver- 
ließ am 2. September morgens 5 Uhr die Festung. Er kam zuerst 
mit Bismarck und dann auf dem Schlosse Bellevne (westlich von 
Sedan) mit Konig Wilhelm zusammen, der den Besiegten als 
Kriegsgefangenen nach dem Schlöffe Wilhelmshöhe bei Kassel bringen 
ließ, wo in Deutschlands trüber Zeit Napoleons Oheim Jerome, der 
König von Westfalen, gewohnt hatte. Ein von Wilhelm I. an seine 
Gemahlin gerichtetes Telegramm schloß mit den Worten: „Welch' 
eine Wendung durch Gottes Fügung!" 
§ 145. Der Deutsch-Französische Krieg von 1870 und 1871. 
II. Der Krieg gegen die französische Republik. 
h-ffnung'in !• Mit Blitzesschnelle durchflog die Kunde von den Vorgängen 
Deutschland, guf den Gefilden Sedans die deutschen Gaue. Sie rief allerorten 
jubelnde Begeisterung hervor. Der Feind schien überwunden, die 
Macht Frankreichs gebrochen, der Friede nahe. Die Hoffnungen aber, 
die in der ersten Siegesfreude auftauchten, erwiesen sich als bittere 
Täuschung. Der Krieg dauerte noch fünf volle Monate, nahm zu- 
dem einen immer rauheren Charakter an und verschlang, da er
	        
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