Full text: [Teil 7 = (7. u. 8. Schulj.), [Schülerbd.]] (Teil 7 = (7. u. 8. Schulj.), [Schülerbd.])

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Ich verbeugte mich stumm und stand bald darauf vor dem Manne, der 
von eisernen Kisten umgeben war. Er nahm mein Empfehlungsschreiben in 
die Hand und sagte: „Sie haben hierauf 100 Mark zu empfangen, wollen 
Sie gefälligst quittieren? Hier ist Ihr Geld!“ 
„Und hier, mein Herr, ist Ihre Quittung!“ rief ich mit erleichterter 
Brust, strich die 51 Taler 192/ Schillinge ein und eilte aus dem Kontor 
in die freie Gottesluft hinaus, der Alsterhalle zu, in deren glänzend dekorierten 
Räumen ich mich bald eines soliden Frühstücks erfreute. 
Von einem unbekannten Verfasser. 
53. Der Savoyarde und der Erzbischof. 
* 
Sinst kam ein armer, kleiner Savoyarde aus dem fernen Berglande 
an die gesegneten Ufer der Mosel und auch nach Trier. Er hatte zwei 
Murmeltiere; denn das eine hatte er noch zu dem seinigen geerbt von einem 
Brüderchen, das weit vom Mutterherzen und von der lieben Heimat — 
vielleicht am Heimweh — genau weiß ich's nicht — gestorben war. Er ließ 
nun die Tierchen tanzen, und die guten Trierer hatten ein Einsehen und 
gaben ihm gern ein paar Pfennige. 
Einst saß das Bübchen auf einem Steine vor dem Schlosse des Kur— 
fürsten und Erzbischofs von Trier und wärmte sich in der milden Frühlings— 
sonne, wo es nichts kostete. Es dachte an seine ferne Heimat, an die väter⸗ 
liche Hütte, an die liebe Mutter, den Vater und die Geschwister und auch 
an das Brüderlein, das heimgegangen war zum rechten Vater über alles, 
was da Kinder heißt auf Erden. Und wie die Frühlingssonne die Veilchen 
aufblühen macht, so schien ihm die Sonne der Liebe ins arme Savoyarden— 
herz hinein, und es traten zwei große Tautropfen ihm in die beiden Augen. 
Das Bübchen faltete seine Hände und betete um einen guten Tag für seine 
fernen Lieben. 
So etwas hört niemand lieber als der liebe Gott. Seine Hand rührt 
dann allemal auch ein Menschenherz an, daß es sich auftut, und er sendet 
einen Engel hinein, der ganz nahe an seinem Throne steht und „Mitleid“ 
heißt. Dieser Engel Gottes kam dazumal in ein recht gutes Herz, welches 
in der Brust des Erzbischofs Klemens Wenzeslaus wohnte. Der stand an 
seines Schlosses Fenster und beobachtete lange das Bübchen in der Stille 
und meinte bei sich, er habe da ein gar schönes Kapitel in einem Menschen— 
herzen gelesen. Und so war's auch. — Er ließ sich das Bübchen heraufrufen 
und die Murmeltiere alle beide tanzen. 
„Du singst ja nicht!“ sagte liebreich der Erzbischof. 
„Ich kann nicht“, antwortete das Bübchen mit zitternder Stimme, und 
die bewußten zwei Tautropfen traten ihm wieder in die Augen,
	        
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