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Aus dieser Zeit der Zerspaltung, Ohnmacht und Erniedrigung des
Reiches, der scheulosen Gewalttat, Recht- und Treulosigkeit erhebt sich
eine neue, seltsame und doch menschlich wohl begreifbare Erscheinung.
Schon seit zwei Jahrhunderten ist sie in ihren Anfängen hervorgetreten.
Die bedeutendsten Städte des Reiches sind hinter fester Ummauerung durch
das Anwachsen ihrer Bevölkerung und ihres Wohlstandes erstarkt, fühlen
sich gleicherweise von der Unsicherheit aller Zustände, der Willkür fürstlicher
und adliger Herren bedroht und empfinden die Notwendigkeit eines Schutzes
dagegen aus eigener Kraft. So haben sie, besonders am Rhein und in
Oberdeutschland, sich in mannigfacher Richtung von ihren Oberherren un—
abhängig zu machen gesucht und zur Erreichung dieses Ziels Bündnisse
untereinander geschlossen. Fraglos sind diese städtischen Gemeinschaften die
hervorragendsten, wenn zu der Zeit nicht die einzigen Vertreter des Rechts—
sinnes und vorschreitender Bildung; aus dem Bürgertum hebt sich der
Beginn einer langsam aufdämmernden neuen Weltanschauung empor. Doch
verfolgen sie bei ihrem Zusammenschluß nicht ideale Zwecke, sondern
lediglich praktische, vor allem die Sicherung und Förderung ihres Handels,
des Fundaments ihres Wohlstandes und ihrer Kraft. Unbewußt aber
bahnen sie damit auch einen geistigen Fortschritt an, werden zu Aufhellern
der mittelalterlichen Finsternis, gleichwie der Genueser Colon westwärts
den Seeweg nach Indien suchte und eine neue Welt entdeckte.
Diese Bestrebungen der größeren Städte reichen mit ihren Anfängen
schon bis ins zwölfte Jahrhundert zurück; jedoch erst die zweite Hälfte des
dreizehnten gewahrt die Entstehung eines Bundes an den nordischen Meer—
ufern Deutschlands, der, mählich sich ausdehnend, ungefähr mit dem Beginn
des fünfzehnten Jahrhunderts zur höchsten Stufe seiner Entwickelung aufsteigt.
Eine Vereinigung der seehandeltreibenden Städte an der Nord- und Ostsee
ist's, die nach der gleichen Sicherung auf dem Wasser trachten wie auf den
Landwegen. Die Schiffe jeder einzelnen Stadt sind hilflos der Übermacht
fremdländischer Fürsten und hohnlachender wilder Seeräuber preisgegeben;
so haben sie beschlossen, mit vereinten Kräften sich Recht und Schutz zu
erzwingen: Zuerst nur wenige der größeren, zu einem tastenden Versuch;
doch rasch verdoppelt, verzehnfacht sich die Zahl. Auch die kleineren er—
kennen ihr Heil in dem Anschluß und erhöhen durch zahlreichen Beitritt
die Stärke der Gesamtheit. Es sind nicht nur am Meer belegene, sondern
ebenso die handeltreibenden Städte im niederdeutschen Binnenland, die,
wenn auch nicht durch gewappnete Schiffe und Waffenträger, so doch durch
Geldbeisteuer die Macht des Bundes vermehren und dafür sich unter seiner
Obhut bergen. Jetzt erstreckt er sich von der esthländischen Küste bis
zur niederländischen an der Grenze Frankreichs, mehrfach sogar bis gen
Oberdeutschland hinauf.
Es ist ein stolzklingendes Wort, das zu jener Zeit die ganze Nord—
welt Europas durchhallt: De dudesche Hanse‘ — die deutsche Hansa. Der
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