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folgte nach, Paar und Paar, verhüllt in schwarze Mäntel und stumm.
In der Ferne läutete ein einsames Glöcklein. Jetzt ergriff unsern Fremd—
ling ein wehmütiges Gefühl, das an keinem guten Menschen vorübergeht,
wenn er eine Leiche sieht; und er blieb mit dem Hut in den Händen
andächtig stehen, bis alles vorüber war. Da machte er sich an den
letzten vom Zug, der eben in der Stille ausrechnete, was er an seiner
Baumwolle gewinnen könnte, wenn der Zentner um zehn Gulden auf—
schlüge, ergriff ihn sachte am Mantel und bat ihn treuherzig um Ent—
schuldigung. „Das muß wohl auch ein guter Freund von euch gewesen
sein“, sagte er, „dem das Glöcklein läutet, daß ihr so betrübt und nach—
denklich mitgeht.“ „Kannitverstan!“ war die Antwort. Da fielen unserm
guten Tuttlinger ein paar große Thränen aus den Augen, und es ward
ihm auf einmal schwer und wieder leichter ums Herz. „Armer Kannit—
verstan“, rief er aus, „was hast du nun von allem deinem Reichtum?
Was ich einst von meiner Armut auch bekomme, ein Totenkleid und ein
Leichentuch, und von allen deinen schönen Blumen vielleicht einen Ros—
marin auf die kalte Brust oder eine Raute.“ Mit diesen Gedanken
begleitete er die Leiche, als wenn er dazu gehörte, bis ans Grab, sah
den vermeinten Herrn Kannitverstan hinabsenken in seine Ruhestätte und
ward von der holländischen Leichenpredigt, von der er kein Wort verstand,
mehr gerührt als von mancher deutschen, auf die er nicht acht gab.
Endlich ging er leichten Herzens mit den andern wieder fort, verzehrte
in einer Herberge, wo man deutsch verstand, mit gutem Appetit ein Stück
Limburger Käse, und wenn es ihm wieder einmal schwer fallen wollte,
daß so viele Leute in der Welt so reich seien und er so arm, so dachte
er nur an den Herrn Kannitverstan in Amsterdam, an sein großes Haus,
an sein reiches Schiff und an sein enges Grab. J. P. Hebel.
97. Der hörnene Siegfried.
1. Wie Siegfried hörnen ward.
In Niederland wohnte in uralter Zeit ein König, Namens Siegmund,
der weithin berühmt war durch seine große Macht. Dessen Sohn hieß
Siegfried; der Knabe war aber von unbändiger Kraft, und all sein Trachten
ging dahin, daß er in die Fremde zöge, um Abenteuer zu bestehen. Endlich
gab der König dem Wunsche seines Sohnes nach und ließ ihn ziehen.
Siegfried kam bald in ein Dorf, das vor einem Walde lag. Dort
verdang er sich bei einem Schmied, um sich Waffen schmieden zu lernen.
Aber er schlug so gewaltig auf das Eisen, daß dieses zersprang und der