Full text: [Teil 6 = (6. Schulj.), [Schülerbd.]] (Teil 6 = (6. Schulj.), [Schülerbd.])

133 
jagte ihm eifrig nach, ohne an Schlaf oder Trank und Speise zu denken, 
bis er endlich am vierten Tage in einen wilden, unwegsamen Wald geriet 
und sich völlig verirrte. Hier wäre er wohl verloren gewesen trotz aller 
seiner Stärke; aber als er laut über sein Mißgeschick klagte, kam der Zwerg— 
könig Eugel auf kohlschwarzem Rosse daher. Sein Kleid war von weißer 
Seide und mit Gold durchwirkt; auf dem Haupte trug er eine prachtvolle 
Krone mit so glänzenden Edelsteinen, daß der dunkle Wald davon erleuchtet 
ward. Er begrüßte Siegfried freundlich, als ob er ihn lange gekannt hätte; 
dann aber gebot er ihm schnell zu fliehen, weil ganz in der Nähe ein Drache 
hause, der eine schöne Jungfrau gefangen halte. „Wenn dieser dich erblickt“, 
sagte er, „so mußt du dein junges Leben in diesem Walde verlieren.“ Da 
freute sich Siegfried, der gefangenen Kriemhild so nahe zu sein, und er— 
klärte dem Zwerge, daß er gerade gekommen sei, um sie zu befreien; aber 
erschrocken rief Eugel: „Du willst dich solches Dinges unterfangen? Hättest 
du auch den halben Erdkreis bezwungen, so würde dir das doch nichts 
helfen; die Jungfrau müßtest du hier auf dem Felsen lassen. Denn den 
Schlüssel zu demselben bewahrt der Riese Kuperan, und ehe du auf die 
Höhe gelangtest, müßtest du mit ihm einen Kampf bestehen, wie er auf 
Erden noch nicht gekämpft worden ist.“ Gerade dies aber lockte den kühnen 
Siegfried, und was auch der gute Eugel sagte, um ihn zu warnen, so 
blieb er doch fest entschlossen, die geraubte Kriemhild aus allen Gefahren 
zu erretten. 
3. Wie Siegfried den Riesen besiegte. 
Nun führte der Zwerg den Helden an die Seite des Felsens, wo des 
Riesen Behausung war. Siegfried rief laut in die Höhle hinein. Sofort 
trat Kuperan hervor, bewaffnet mit einer weit über die Bäume hinaus— 
ragenden Stange von Stahl, deren vier Kanten messerscharf waren und die 
einen Klang gab wie eine Kirchenglocke. „Was willst du, junger Bursch, 
in diesem Walde?“ sprach der Riese. „Ich will die Jungfrau erlösen“, 
antwortete Siegfried, „welche auf diesem Felsen gefangen sitzt.“ „Hoho!“ 
sagte jener, „du kleiner Wicht, da müßtest du erst noch einige Ellen wachsen.“ 
Jetzt holte der Riese mit seiner Stange aus, um Siegfried niederzu— 
schlagen; aber dieser sprang schnell und gewandt fünf Klafter weit zurück, 
und sausend fuhr die Stange tief in die Erde hinein. Ehe Kuperan sie 
aber wieder herausgezogen hatte, sprang Siegfried hinzu und schlug ihm 
mit seinem scharfen Schwerte fürchterliche Wunden. Von Schmerz über— 
wältigt, ließ der Riese seine Stange fahren und floh in die Höhle zurück. 
Aber bald trat er schrecklich gewaffnet wieder hervor. Ein goldener 
Harnisch deckte seine Brust; an der Seite trug er ein riesiges scharfes 
Schwert, in der Linken aber einen Schild, so groß wie ein Thor und 
einen Schuh dick, und auf dem Haupte hatte er einen Helm von hartem
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.