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Jerusalems der Krieg noch lange nicht beendet sein werde und daß es
also noth thue, einen Mann an die Spitze zu stellen, der die neue
Eroberung schützen könne. Einstimmig wählte man den tapfern Gott¬
fried von Bouillon, der bisher Oberanführer des Kreuzheeres gewesen
war, zum Könige, und gewiß! eine bessere Wahl hätte man nicht
treffen können; denn dieser war tapfer, klug und tugendhaft. Als er
aufgefordert wurde, die Krone Jerusalems anzunehmen, sagte er be¬
scheidenen Sinnes: „Wie könnte ich unwürdiger Sünder da eine Krone
tragen, wo meinem Erlöser die Dornenkrone aufs Haupt gesetzt wurde?
Gern aber will ich meine ganze Kraft verwenden, damit die heilige
Stadt den Christen erhalten bleibt und nicht in die Hände der Un¬
gläubigen zurückfällt." Fortan nannte er sich einen „Beschützer des
heiligen Grabes" und hatte bald Gelegenheit zu zeigen, daß er diesen
Titel verdiene. Der Sultan von Aegypten, zu dessen Besitzungen Je¬
rusalem zuletzt gehört hatte, zog mit einem ungeheuern Heere heran,
um bie Stadt zurück zu erobern, aber Gottfried schlug ihn (Aug. 1099)
bei Askalon (nördlich von Gaza) und gewann bamit große Vortheile:
bie ansehnliche Beute lieferte Lebensrnittel in Menge, verschaffte den
Rittern Pferde, an denen sie großen Mangel gelitten hatten, dem
Landbau das fehlende Zugvieh, und lockte zudem taufende neuer Kreuz¬
fahrer aus Europa herzu.
Leider starb der treffliche Gottfried schon ein Jahr nach seiner
Erwählung (1100), und nun wurde sein Bruder, Balduin von
Edessa, gewählt. Balduin war zwar weniger bescheiden als Gott¬
fried — denn er nannte sich sogleich König von Jerusalem —, aber an
Tapferkeit stand er ihm gleich und so gelang es ihm, namentlich da er
fortwährend Zuzüge aus Europa erhielt, das heilige Land gegen die
Angriffe der Saracenen zu sichern und sogar noch die Küstenstädte
dazu zu erobern. Bei der Eroberung von Cäsarea fiel den Genue¬
sen, die sich unter den Kreuzfahrern befanden, eine Schüssel aus Jas¬
pis (ein undurchsichtiger Halbedelstein, der zum Quarz gehört und ver¬
schieden gefärbt ist) in die Hände, die für ein großes Heiligthum an¬
gesehen wurde. Der Sage nach hatte Jesus sie benutzt, um aus ihr
den Jüngern das heilige Abendmahl zu geben, und Joseph von Ari-
mathla hatte in derselben das Blut des Herrn aufgefangen, als der
Kriegsknecht Longinus seine Lanze in dessen Seite gestoßen. Auf
diese Jaspisschüssel, der heilige Gral genannt (Gral — Schüssel), be¬
ziehen sich verschiedene alte Dichtungen, namentlich auch der,,Parcival"
des Wolfram von Eschenbach, der in der ersten Hälfte des 13.
Jahrhunderts lebte.