Full text: Deutsches Lesebuch für das mittlere Kindesalter (1, [Schülerband])

14 
18. Das Äewitter. 
herauf, erheben sich immer mehr, gleichen übereinander gelagerten Ge- 
birgsmasien, mannigfaltig gestaltet, grau, düster, hell gefärbt. Durch 
sie, wie durch einen Schirm, werden die Strahlen der Sonne gehemmt; 
das Tageslicht verliert feine Helle; es wird trübe und dunkler. 
In der dunklen Wolke blitzt es. Ein schwaches Donnern wird 
gehört, das lauter schallt, je näher das Gewitter kommt. Schwül ist 
die Luft. Regenwolken senken sich in der Ferne nieder. Plötzlich 
bricht ein Sturm los; er braust und saust, er führt Staubwolken in 
die Luft empor; Seen und Ströme schlagen Wellen; das Wasser schäumt; 
die Wipfel der Bäume schwanken hin und her. Die Thiere des Landes, 
die Vögel verbergen sich und suchen Schutzörter gegen das nahe Un¬ 
gewitter. Selbst der Mensch kaun nicht ohne Furcht sein. Er fragt: 
Wen wird der flammende, das Leben im Nu zerstörende Strahl treffen? 
Auf welche Wohnung wird er niederfahren, zünden und sie in einen 
Aschenhaufen verwandeln? Kann nicht ein Wolkenbruch, ein Platzregen 
eine verheerende Ueberschwemmung anrichten? Wird nicht der Hagel 
die Früchte des Feldes niederschlagen? Leben, Gesundheit und Eigen¬ 
thum stehen auf dem Spiele; wird es gerettet, wird es vernichtet 
werden? — Diese Fragen kann niemand beantworten. — Das Herz 
bebt; Felsen zittern; von wütenden Wogen wird das Ufer gepeitscht. 
Oft folgen Blitz und Schlag schnell auf einander. Es fallen große 
Regentropfen. In einem Platzregen strömt das Wasser aus den Wolken 
hernieder. Aus den Thälern und Wäldern ist die ruhige Stille ent¬ 
flohen; das Brüllen des Donners, das Toben und Stürmen hat sie 
verscheucht. 
Aber ohne Schaden ließ der Allmächtige das Gewitter vorüber¬ 
ziehen; er führte es weiter, um seine Schrecken, aber auch seine Wohl¬ 
thaten in anderen Gegenden zu verbreiten. Strahlend und leuchtend 
tritt die Sonne am Tage, Mond und Sterne des Nachts hinter dem 
Gewölke wieder hervor. Der laute Krieg hat sich in einen fröhlichen 
Frieden verwandelt, die Natur lacht. Im frischen Grün prangt Wald 
und Flur; rein gewaschen vom Staube sind die Gewächse; munter und 
fröhlich singt der Chor der Vögel im Haine; trillernd schwingt sich 
die Lerche in die Luft. Die Schwüle hat sich abgekühlt; die Brust 
kann freier athmen; der Hauch eines erquickenden Lebens weht durch 
die ganze Natur. Wie wohlthätig ist das Gewitter! Preis und An¬ 
betung dem Allmächtigen, der das Verderben in Segen umwandelt! 
Müller.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.