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92. Der Rhein zwischen Bingen und Bonn.
hat seit nun bald zwei Jahrtausenden daran gearbeitet, seine Ufer mit
Städten und Felsenschlössern, mächtigen Festen und herrlichen Kirchen,
mit Klöstern und Landhäusern zu zieren. An seinen Ufern hat Jung
Siegfried die Drachen und Lindwürmer erschlagen, hat Roland
gekämpft und der große Karl Gericht gehalten. Hier hielten die stolzen
Ritter glänzende Turniere. Burg um Burg begleiten auf den Höhen
zu beiden Seiten seinen Lauf. Einige schauen noch trotzig hinab ins
Thal; sie haben Jahrhunderte hindurch vor keinem Sturm gezagt;
andere sind mit ihren Zinnen, die einst so kühn emporstrebten, zu
Grabe getragen; nur noch wenig alterndes Gemäuer ist stehen geblieben,
und der blaue Himmel schauet durch die offenen Fenster. Auf dem
Flusse aber ist ein neues Leben erblühet. Hoch in die Lüfte wälzen
sich aus dem Thale herauf Dampfwolken; stolz schwimmen die Dampf¬
schiffe stromauf und stromab; von dem Ufer stoßen bei jedem Dorfe,
bei jeder Stadt Nachen um Nachen mit Reisenden. Diese steuern den
Dampfschiffen zu und ersteigen mittelst einer kleinen Treppe die schnau¬
benden Rosse, die sich sogleich wieder in Bewegung setzen, wenn sie
alle aufgenommen haben. Mit Jubel und Gruß gleitet ein Schiff an
dem andern vorbei. Keuchend mühen sich die Schleppschiffe in den
Wellen fort; große, schwer beladene Kähne folgen ihnen. Bald sind
sie überholt von beit rascheren Reiseschiffen. Auf kleinen Gondeln
fahren Frauen und Mädchen zu Markte; sie wissen das Ruder eben¬
so geschickt zu regieren, wie den breiten Korb mit Gemüse und Milch
auf dem Kopf zu tragen. Auf mächtigen Flößen schwimmen kräftige
Männer den Strom hinab, als wollten sie die Schiffahrt noch in der
einfachsten Weise zeigen. Eine ganze Reihe von Bretterzelten haben
sie auf ihrem Floß aufgeschlagen, das sie Tag und Nacht nicht ver-
lassen. — Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang ist es
lebendig auf dem Strome. Wenn der Tag grauet und der Morgen¬
nebel sich vom Flusse erhebt, ertönt schon die Schiffsglvcke in die Thal¬
schluchten hinein; eilig kommen die Säumigen gelaufen, um die Ab¬
fahrt nicht zu verfehlen, und wenn die ersten Sterne am Abendhimmel
funkeln, plätschern noch immer die Räder der Dampfschiffe. Laternen
mit rothem und grünem Schein werden an dem Mast in die Höhe
gehißt und nicht eher wieder herabgelassen, bis das Schiff seinen Be¬
stimmungsort erreicht hat. Und wenn alles auf dem Flusse schweigt,
so wird er zuletzt noch illuminiert. Bis spät in die Nacht hinein fällt
nämlich der Schein von tausend und aber tausend Lichtern am ganzen