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5. Im Jahre 1857 wurde der König von einer schweren Krankheit
befallen, die sich bald als ein unheilbares Gehirnleiden auswies. Da er
ohne Kinder war, so übernahm sein Bruder Wilhelm für ihn die Re—
gierung, zuerst als Stellvertreter, später unter dem Titel Prinz-Regent.
Friedrich Wilhelm IV. starb nach schmerzlichen Leiden, die er mit christ-59
licher Ergebung trug, am 2. Januar 1861, und seinem Bruder und
Nachfolger erst ist es vergönnt gewesen, vieles von dem auszuführen,
was er erstrebt und begonnen hat. Pierson u. Stacke.
259. Aus Preussens Staatsverfassung.
L. Die preussische Staatsverfassung beruht auf der Verfassungs- 10
urkunde vom 31. Januar 1850. Das Staatsoberhaupt ist der König,
der gleichzeitig auch als deutscher Kaiser das Oberhaupt des deutschen
Reiches ist. Die Person des Rönigs ist heilig und unverletzlch.
Ale seine Regierungshandlungen bedürfen der Gegenzeiehnung der
verantwortlichen Minister. Die Krone ist erblich im Mannestamme 15
des Hauses Hohenzollern nach dem Rechte der Erstgeburt. Der König
wird mit Vollendung des 18. Lebensjahres grossjährig und legt bei
dem Regierungsantritt den Eid auf die Verfassung ab. Er übt die
vollziehende Gewalt aus, beruft die beiden Häuser des Landtags,
schliesst deren Sitzungen, kann sie auch vertagen und das Haus der 20
Abgeordneten auflõssen, verkündet die Gesetze und erlässt die zur
Ausführung nötigen Verordnungen. Der König führt den Oberbefehl über
das Heer und die Marine und besetzt alle Stellen in der preussischen
Armee, beschliesst über Krieg und Frieden, ernennt und entlälst die
Ninister, vereinbart die Verträge mit fremden Regierungen, hat das 25
Recht der Begnadigung, lässt Münzen prägen und Papiergeld an-
fertigen, verleiht Orden und Auszeichnungen. Bei Ausübung der
gesetzgebenden Gewalt ist der König an die Zustimmung des Land-
tags gebunden, der zudem auch das Recht der Teilnanme an der
Aufstellung des jährlichen Staatshaushalts, der Überwachung der 30
Pinanzverwaltung und des Staatsschuldenwesens und das Steuer-
bewilligungsrecht hat. Zu jedem Gesetz ist die Ubereinstimmung des
Königs und beider Häuser des Landtags erforderlich.
2. Das Herrenhaus besteht aus den grossjährigen Prinzen des
königlichen Hauses, aus erblich berechtigten Mtgliedern und aus 85
Personen, die der König teils auf Lebenszeit, teils für die Zeit, in
der sie ein bestimmtes Amt bekleiden, zu Nigliedern des Herren—
hauses ernennt. Das Haus der Abgeordneten besteht aus 433
Vertretern des gesamten Volkeès. Die Wahl ist eine mittelbare, in-
dem auf je 250 Seelen ein Wahlmann gewählt wird. Die Urwähler 40
werden dabei nach NMassgabe der von ihnen zu entrichtenden un—
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