Full text: (Für das 5. bis 8. Hilfsschuljahr) ([Teil 3, [Schülerbd.]])

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6. Sie hören's nicht, sie sehen's nicht, 
es flammet die Stube wie lauter Licht. 
Urahne, Großmutter, Mutter und Kind 
vom Strahl miteinander getroffen sind. 
Vier Leben endet ein Schlagl — 
Und morgen ist's Feiertag. 
Gustav Schwab. 
189. Der alte Schiffer. 
1. In Berlin war's an einem Weihnachtsheiligabend, daß eine 
Frau nach dem „Prediger bei den Soldaten“ fragte. Sie schaute mich 
an, und als sie die weißen Haare sah, sagte sie: „Ja, Sie sind der alte 
Herr, den er meint.“ Ich wußle noch immer nicht, was sie wollte. 
Endlich sagte sie: „Wir sind Schiffersleute aus Litauen und fahren 
hierher nach Berlin. Da ist mein Vater immer in die Garnisonkirche 
gegangen; jetzt ist er todkrank und möchte gern das heilige Abendmahl 
von dem alten Herrn haben. Kommen Sie doch schnell mit!“ 
2. Ich zog den Pelz an, nahm die heiligen Gefäße und folgte 
dem Weibe. Wir kamen an die Spree. „Da wohnen wir, im siebenten 
Kahne. Geben Sie acht, daß Sie nicht fallen.“ Es war dunkel und 
glatt; ein schmales Brett war von einem Schiff auf das andere gelegt. 
Zwischen den Kähnen das Wasser in der Tiefe! Ich wußte kaum, 
wie ich da hinüberkommen sollte. Sie aber zog mich langsam nach 
sich, und endlich waren wir am siebenten Kahne. Wir stiegen hinab. 
3. Da lag denn in der Schiffskoje, sauber angekleidet, das schwarze 
Samtmützchen auf dem Kopfe, ein Greis mit unendlich freundlichem 
Ausdruck. Er zog das Mützchen ab und küßte mir die Hand. Es 
lag ein langes Leben hinter ihm. In den Freiheitskriegen hatte er 
mitgekämpft und später viele Meer- und Kanalfahrten gemacht. Von 
seiner großen Familie war ihm niemand geblieben als die verwitwete 
Tochter und ein Enkelkind, die beide am weißgedeckten Tischchen saßen. 
Als ich die Beichte begann, faltete er die Hände und sprach sie selbst 
mir vor, noch manches dazusetzend aus seinem Leben, was ihn drückte. 
Nach dem heiligen Abendmahle lag er still da, die Hände über der 
Brust gefaltet, ein Bild tiefsten Friedens. Noch einmal küßte er mir 
dankbar die Hand. Ich stieg hinauf. Draußen war lautes Leben; 
die Leute eilten vom Weihnachtsmarkte heim zur Bescherung; in
	        
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