Full text: [Teil 2 = Oberstufe, [Schülerbd.]] (0002)

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21. Aus Luthers Jugend. 
1. Es hatte den ganzen Tag geschneit. Fußhoher Schnee 
lag auf den Straßen von Eisenach. Ein scharfer Wind pfiff den vier 
Knaben um die Ohren, die vor einem Hause, klappernd vor Frost, 
sangen: 
,, Ihr Menschen alle, groß und klein, 
hört, was ich euch tu’ singen! 
Vom goldgelockten Christkindlein 
will ich euch Kunde bringen.“ 
Da öffnete sich die Haustür, und ein zehnjähriges Mädchen 
brachte ihnen ein Geldstück als Lohn für den schönen Gesang. 
Zu manchem Hause zogen die vier, um zu singen, aber wie oft 
warteten sie vergebens auf eine milde Gabe an Geld, Brot oder 
Wurst. Da mußten sie betrübt weiterziehen. 
2. Wieder sangen sie ihr Lied vor einem Hause mit zahllosen 
kleinen Scheiben. Hell klang es aus den vier Knabenkehlen: 
„Nach Bethlehem zu dem Stalle, 
zu der Mutter mit dem Kind 
die frommen Hirten alle 
in dieser Nacht gewalkt sind!“ — 
Da knarrte die Tür. Eine Magd in Holzschuhen rief die Sänger 
herein. Schüchtern folgten sie ihr in ein trautes Gemach. Auf 
einem erhöhten Platze am Fenster saß eine vornehme Frau. Sie 
spann und nickte ihnen freundlich zu. Auf dem Tische dampfte 
eine große Schüssel mit Milchsuppe, und auf einem riesigen Zinn¬ 
teller lagen leckere Pfannkuchen. „Langt zu!“ — Das ließen die 
Knaben sich nicht zweimal sagen, sie schmausten und dachten an 
nichts anderes mehr. Erst als alles leer gegessen war, standen sie 
von ihren Plätzen auf, bedankten sich bei Frau Cotta und gingen. 
3. Doch der letzte, der zur Tür hinaustreten wollte, der kleinste 
von ihnen, der die hellsten Locken und die hellste Stimme hatte, 
wurde zurückgerufen. 
„Wie heißt du?“ — „Martin Luther.“ — „Besuchst du schon 
lange hier in Eisenach das Gymnasium?“ — „Nein, erst ein Jahr.“ 
— „Wo wohnen deine Eltern?“ — „In Mansfeld.“ — „Was ist dein
	        
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