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2. Die Teufelsleiter.
Bei Lorch, an der Grenze des Rheingaues, sieht man
noch die wenigen Ueberreste einer alten Ritterburg. Hier
wohnte vormals Sibo von Lorch, ein wackerer Degen,
aber von unfreundlicher Gemüthsart. An seiner Pforte
klopfte einst, in stürmischer Nacht, ein kleines, altes
Männlein, und bat um Herberge. Der Ritter wies den
seltsamen Fremdling ab mit unsanften Worten. Das
will ich dir gedenken, brummte das Mannlein in seinen
grauen Bart, und zog von dannen. Herr Sibo dachte
des Vorgangs nicht weiter; als aber des andern Tags
zn Tische gelautet wurde, da war seine Tochter, ein
schön aufblühendes Mägdlein von zwölf Jahren, nirgends
zu finden. Man schickte Boten aus nach ihr, und zuletzt
ging der Vater selbst, sie aufzusuchen. Ein Hirtenknabe,
bei welchem er Kunde einzog, erzählte, er habe in der
Frühe ein Mägdlein gesehen, welches drüben, am Fuße
des jähen, unzugänglichen Kedrichs, Blumen gebrochen.
Da seien plötzlich einige kleine, graue Männlein auf sie
zugekommen, hatten sie bei den Armen ergriffen, und wä¬
ren mit ihr den steilen Berg so behende hinaufgesprun¬
gen, wie auf ebenem Boden. Ach, setzte der Knabe hin¬
zu, und segnete sich, das sind gewiß von den schlimmen
Berggeistern, die in dem Kedrich hausen, und gar leicht
zum Zorn gebracht werden. — Der Ritter sah mit Schrec¬
ken nach der Bergspitze, und erblickte jetzt wirklich seine
Garlinde, die oben stand, und es kam ihm vor, als streck¬
te sie ihre Hände nach ihm aus. — Er versammelte als¬
bald seine Leute, ob vielleicht einer darunter den Bergcrklim-
möchte; aber jeder Versuch mißlang. Jetzt befahl er ih¬
nen, Werkzeuge herbei zu holen, und einen Weg in den
Berg zu machen. Sie gehorchten mit größter Bereitwil¬
ligkeit; allein die Arbeiter hatten kaum ihr Werk begon¬
nen, als von dem Gipfel ein Steinregen herabflog, der
Alles zur Flucht nöthigte. Zugleich rief eine Stimme,
die aus dem Berg zu kommen schien: So vergelten wir
die Gastfreundschaft auf Lorch.
Herr Sibo wandte Alles an, um seine Tochter ans
den Händen der Unholde zu befreien. Er that mancherlei
Gelübde, und spendete reichliche Almosen den Klöstern
und den Armen; doch nirgendwo zeigte sich Rath und
Hülfe. — Tage, Wochen und Monate verstrichen, und
des Vaters einziger Trost war die Gewißheit, daß seine
Tochter noch lebe; denn sein erster Blick am Morgen