129
IV. Natur und Naturfreude.
84. Sonnenaufgang.
1. Kommt, Kinder, wischt die Augen
aus,
es gibt hier was zu sehen,
und ruft den Vater auch heraus!
Die Sonne will aufgehen!
2. Wie ist sie doch in ihrem Lauf
so unverzagt und munter!
Geht alle Morgen richtig auf
und alle Abend unter.
3. Geht immer und scheint weit und
breit
in Schweden und in Schwaben,
dann kalt, dann warm, zu seiner Zeit,
wie wir es nötig haben.
4. Von ohngefähr kann das nicht sein,
das könnt ihr euch wohl denken;
der Wagen da geht nicht allein,
ihr müßt ihn ziehn und lenken.
5. So hat die Sonne nicht Verstand,
weiß nicht, was sich gebühret;
drum muß wer sein, der an der Hand
als wie ein Lamm sie führet.
6. Und der hat Gutes nur im Sinn,
das kann man bald verstehen:
er schüttet seine Wohltat hin
und lässet sich nicht sehen.
7. Und hilft und segnet für und für,
gibt jedem seine Freude,
gibt uns den Garten vor der Tür
und unsrer Kuh die Weide;
8. und hält euch Morgenbrot
bereit
und läßt euch Blumen pflücken
und stehet, wenn und wo ihr seid,
euch heimlich hinterm Rücken;
9. sieht alles, was ihr tut und denkt,
hält euch in seiner Pflege,
weiß, was euch freut, und was euch
kränkt,
und liebt euch allewege.
10. Das Sternenheer hoch in derHöh,
die Sonne, die dort glänzet,
das Morgenrot, der Silbersee,
mit Busch und Wald umkränzet,
11. dies Veilchen, dieser Blütenbaum,
der seine Arm' ausstrecket,
sind, Kinder, seines Kleides Saum,
das ihn vor uns bedecket;
12. ein Herold, der uns weit und breit
von ihm erzähl' und lehre,
der Spiegel seiner Herrlichkeit,
der Tempel seiner Ehre;
13. ein mannigfaltig groß Gebäu,
durch Meisterhand vereinet,
wo seine Lieb' und seine Treu
uns durch die Fenster scheinet.
14. Er selbst wohnt unerkannt darin
und ist schwer zu ergründen.
Seid fromm und sucht von Herzen ihn,
ob ihr ihn möchtet finden!
Matthias Llaudius.
Kipperiberg, A 3
9