Full text: [Theil 6, [Schülerband]] (Theil 6, [Schülerband])

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61. Von der Fruchtbarkeit und der schnellen Verbreitung der 
Pflanzen. 
1. 
Man kann sich nicht genug über die Menge und Mannig¬ 
faltigkeit der Pflanzen verwundern, mit welchen die Natur alle 
Jahre die Erde bekleidet. In dem kleinen Raum, den das Auge 
auf einmal überschauen kann, welch eine Vielfachheit der Gestalten, 
welch ein Spiel der Farben, welche Fülle in der Werkstätte der 
reichsten Kraft und der unerforschlichen Weisheit? Nicht weniger 
muß man sich wundern über die Geschwindigkeit, mit welcher die 
Natur jede leere Stelle auf öden Feldern, verlassenen Wegen, kahlen 
Felsen, Mauern und Dächern, wo nur eine Hand voll fruchtbare 
Erde hingefallen ist, ansäet und mit Gras, Kräutern, Stauden und 
Buschwerk besetzt. Das sieht man oft und achtet's nicht, eben weil 
man es von Kindheit an so oft sieht; die gröste Weisheit verräth 
sich in der einfachen und natürlichen Einrichtung der Dinge, und 
man erkennt sie nicht, eben weil alles so einfach und natürlich ist. 
2. 
Die meisten Pflanzen haben eine wunderbare Vermehrungs¬ 
kraft, wie jeder aufmerksame Landwirt wohl weiß. Tausend Samen¬ 
körner von einer einzigen Pflanze, so lange sie lebt, ist zwar schon 
viel gesagt; nicht jede trägt's, aber es ist auch noch lange nicht das 
höchste. Man hat schon an einer einzigen Tabakspflanze 40,000 
Körnlein gezählt, die sie in einem Jahre zur Reife brachte. Man 
schätzt einer Eiche, daß sie 500 Jahre leben könne; aber wenn wir 
uns nun vorstellen, daß sie in dieser langen Zeit nur 50mal 
Früchte trage, und jedesmal in ihren weit verbreiteten Ästen nur 
500 Eicheln, so liefert sie doch 25,000, wovon jede die Anlage hat, 
wieder ein solcher Baum zu werden. Gesetzt, daß dieses geschehe, 
und es geschehe bei jeder von diesen wieder, so hätte sich die einzige 
Eiche in der zweiten Abstammung schon zu einem Walde von 625 
Millionen Bäumen vermehrt. Wie viel aber eine Million oder 
10O0mal 1000 sei, glaubt man zu wissen, und doch erkennt es 
nicht jeder. Denn wenn ihr ein ganzes Jahr lang vom 1. Januar 
bis zum 31. December alle Tage 1000 Striche an eine große 
Wand schreibt, so habt ihr am Ende des Jahres noch keine Million, 
sondern erst 365,000 Striche, und das zweite Jahr noch keine 
Million, sondern erst 730,000 Striche, und erst am 26. September 
des dritten Jahres würdet ihr zu Ende kommen. Aber unser Eich¬ 
wald hätte 625 solcher Millionen; und so wäre es bei jeder andern 
Art von Pflanzen nach Verhältnis in noch viel kürzerer Zeit, ohne 
an die zahlreiche Vermehrung durch Augen, Wurzelsprossen und
	        
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