Full text: Lesebuch für weibliche Fortbildungs- und Feiertagsschulen

V. Aus der Geschichte 
„Auf Euch, Ihr Frauen, sieht 
hoffend das Vaterland!" 
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1. Kertöa. 
Es war ein liebliches Eiland, im baltischen Meere gelegen. Eichen, 
so alt wie der Boden, ans dem sie entsprossen, und gewaltige Buchen 
beschatteten dasselbe, das nördliche Ende des großen hercynischen Waldes 
bildend, welcher bei den Nordabhängen der Alpen begann und sich bis 
hierher erstreckte. Von bemoosten Hügeln umgeben, lag nicht fern vom 
Rande der Insel im Schatten der Bäume ein klarer, säst zirkelrunder 
See. Am nördlichen Ufer desselben erhob sich mit ihren hohen Wällen 
die ^Herthaburg. Sie war der Sitz der Göttin Hertha, der Geberin 
alles Segens in Feld und Wald. Uralte Buchen bildeten rund herum 
jenen heiligen Hain, dessen Innerstes nur der Fuß des Priesters betrat. 
Tiefe Stille herrschte in dem dunklen Schatten der Bäume, und kein 
Uneingeweihter wagte, das leise Flüstern der Untergötter zu unterbrechen. 
Selbst die kecken Urbewohner des hercynischen Waldes, der gewaltige 
Ur, das riesige Elen, der heulende Wolf wie der grimmige Bür schienen 
scheu zurückzubleiben von dem heiligen Orte, dem der Mensch nur in 
tiefster Ehrfurcht sich nahte. 
Wenn aber mit dem wiederkehrenden Lenze die erstarrte Erde unter 
den erwärmenden Strahlen der Sonne erwachte und die schlummernden 
Kinder des Frühlings von ihrem langen Winterschlafe erstanden, wenn 
Tausende der befiederten Sänger ihre Lieder erschallen ließen zum Lobe 
der schaffenden Hertha: siehe, dann tauchten ganze Scharen riesiger 
Münnergeftalteu aus dem Dunkel der Wälder hervor, in stiller Er¬ 
wartung dem heiligen Haine sich nahend. Welche Männer! Kühn blitzt 
das blaue Auge unter den buschigen Brauen, und lockig wallt das blonde 
Haar herab auf die breiten Schultern. Sieben Fuß messend von der
	        
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