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„Halt — um Deiner Seligkeit willen — halt!" schrie schnell und
heftig der Missourier, — „rühre Dich nicht von der Stelle, wo du liegst,
bis es hell wird!"
„Was ist Dir geschehen? William — rede — ich beschwöre Dich!"
bat die Frau in Todesangst.
„Es sind Schlangen hier, und ich habe auf eine getreten."
„Bist Du gebissen?" fragte entsetzt sein Weib.
„Ich glaube nicht; es sprang eine nach mir, hat mich aber wohl
gefehlt; bleibe nur ruhig liegen, rühre Dich nicht und halte auch die
Kinder still!"
„O mein Gott!" jammerte das arme Weib — „wenn es doch erst
Tag wäre, mich wird die Angst verzehren: bleib' nur ja, wo Du bist,
daß D i r kein Unglück geschieht "
„Ja, ja," sagte der Mann, „ich rühre mich nicht; gieb nur auf die
Kinder Acht!"
Lange noch wachte die Frau und lauschte ängstlich der geringsten Be¬
wegung im Zimmer, endlich aber machte die Ermüdung ihr Recht geltend,
und da sich auch das Kleine beruhigt hatte, schlief sie wieder ein. Aber
bange Träume quälten sie, und mit einem Angstruf fuhr sie plötzlich empor.
Es war heller Tag; die Sonne schien durch die breiten Spalten ins
Innere der Hütte, die Kinder schlummerten noch an ihrer Seite, der Gatte
lag an der entgegengesetzten Wand regungslos, und keines der gefährlichen
Thiere war mehr zu sehen, der Morgen hatte sie vertrieben. Da richtete
sich die Frau schnell empor, warf ihr Kleid über und trat zum Vater ihrer
Kinder, um auch diesen zu ermuntern; kaum hatte sie aber seine Schulter
berührt, als sie mit einem Schrei zurücksprang, der die Kinder aufschreckte
und schauerlich in dem leeren Gebäude verhallte.
Eine Leiche lag vor ihr, kalt und starr, mit weit geöffneten gläsernen
Augen und geschwollenen Gliedern. Jammernd sank sie an dem leblosen
Körper nieder und versuchte Alles, was in ihren Kräften stand, ihn in's
Leben zurückzurufen, es blieb vergeblich, und schluchzend warf sie sich end¬
lich wieder auf's Lager, ihrem Schmerze Luft zu machen. Aber die Kin¬
der, durch die lauten Klagen der sonst so freundlichen Mutter geängstigt,
stimmten mit ein und hingen sich schreiend an ihre Beschützerin.
Das gab ihr die Kraft, die ganze Seelenstärke wieder und erweckte
einen Muth in ihr, dessen sie sich selbst nicht bewußt gewesen war. Mit
der Ruhe der Verzweiflung redete sie freundlich den Kindern zu, gab ihnen
das Frühstück und bereitete sich dann, den Gatten zu begraben. Unter
dem mitgebrachten Handwerkszeug waren mehrere Spaten und Hacken
und eine kleine Strecke von der Hütte entfernt, neben dem murmelnden
Bache, grub sie das Lager für den geliebten Mann. Mit kaum glaub¬
licher Kraft trug sie dann den schweren Körper an den Ort seiner Bestim¬
mung, ließ ihn hinab in die Gruft, stemmte unmittelbar über der Leiche
einige Bretter quer vor, faltete in stillem Gebet ihre Hände über dem