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Deutsche Geschichte.
betrieben hatte, war das Werk seines Großkanzlers, d. h. Justizministers
C arm er; es wurde noch unter dem großen König vollendet, trat unter
seinem Nachfolger in Wirksamkeit und ist erst 1900 durch das neue, all-
gemeindeutsche „Bürgerliche Gesetzbuch" abgelöst worden.
®5r religiöser Beziehung vertrat er den Grundsatz der Duldung.
„Die Religionen müssen alle tolerieret werden", lautet einer seiner Rand-
bescheide aus seinem ersten Regierungsjahre; „hier muß ein jeder nach
seiner Fagon selig werden." Für die Pflege des geistigen Lebens
blieben dem König, der den größeren Teil der Staatseinnahmen sür die
Landesverteidigung aufwenden mußte, nur geringe Mittel übrig. Doch hat er
die Zahl der Volksschulen vermehrt und auch dem höheren Schulwesen seine
Sorge zugewandt. Unter seinen Bauten ist außer dem Berliner Opernhause
und Sanssouci vornehmlich das großartige Neue Palais bei Potsdam zu
nennen, das er in den Jahren nach dem Siebenjährigen Kriege aufführen ließ.
Dichtkunst Uber die neueren Erzeugnisse der deutschen Literatur urteilte er bis zu
seinem Ende hart und absprechend. Und doch erblühte damals die d e u t s ch e
Dichtkunst nach Jahrhunderte dauerndem Verfall zu neuem, herrlichem
Leben. Zuerst war Klopstock aufgetreten, der Odendichter und Schöpfer
des religiösen Epos „der Messias"; tiarm Lessing, der erste der großen
deutschen Dramatiker und der erste große deutsche Prosaschriftsteller. Ihnen
war ein noch Größerer, Goethe, gefolgt, dessen „Götz von Berlichingen"
sich freilich besonders scharfen Tadel von feiten Friedrichs zuzog; feit 1775
weilte er am Hofe des Herzogs Karl August von Weimar, der ihn einige
Jahre später zu seinem Minister machte. Schon vor Goethe hatte Wie-
l a n d, der Dichter des „Oberon", seinen Wohnsitz nach Weimar verlegt,
kurz nach ihm wurde Herder dorthin berufen. Zuletzt trat in diesen Kreis
Schiller ein, neben Goethe Deutschlands größter Dichter. So wurde
Weimar eine geweihte Stätte des deutschen Landes.
Friedrichs auswärtige Politik in seinen letzten Jahrzehnten.
§ 88. Die erste Teilung Polens. 1772. In der auswärtigen
Politik bemühte sich Friedrich seit dem Hubertusburger Frieden, im all-
gemeinen ein gutes Einvernehmen Mit Katharina II. von Rußland zu
erhalten. Diese geistvolle und Willensstärke Fürstin nahm damals die Er-
oöerungsgedanken Peters des Großen wieder auf. Für die Zukunft dachte
sie sich gegen die Türkei zu wenden; zunächst tat sie Schritte, um Polen an
Polen, sich zu reißen. Polen war ein in politischem und wirtschaftlichem Verfall
begriffener Staat. Seit es ein Wahlreich war, hatte das Königtum immer