Full text: [Teil 1 = Sexta, [Schülerband]] (Teil 1 = Sexta, [Schülerband])

WH 
Kerner: Goldener. 
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Nacht über Felsensteine und alte, zerfallene Baumstämme, fiel 
auch gar oft über die schwarzen Wurzeln, die aus dem Boden 
überall hervorragten. Am dritten Tage aber wurde der Wald 
immer heller und heller, und da kam er endlich hinaus und in 
einen schönen, lichten Garten, der war voll der lieblichsten Blumen, 
und weil Goldener so was noch nie gesehen, blieb er voll Verwunde¬ 
rung stehen. Der Gärtner im Garten bemerkte ihn nicht so bald; 
denn Goldener stand unter den Sonnenblumen, und seine Haare 
glänzten im Sonnenscheine nicht anders als so eine Blume. „Ha!" 
— sprach der Gärtner — „solch einen Burschen habe ich gerade 
vonnöten!" und schloß das Tor des Gartens. Goldener ließ es 
sich gefallen; denn ihm deuchte unter den Blumen ein gar buntes 
Leben, zumal er ganz die Hoffnung aufgegeben hatte, die Hütte 
seines Vaters wiederzufinden. „Fort in den Wald!“ sprach der 
Gärtner eines Morgens zu Goldener, „hol’ mir einen wilden Rosen¬ 
stock, damit ich zahme Rosen darauf pflanze!" Goldener ging 
und kam mit einem Stock der schönsten goldfarbenen Rosen 
zurück, die waren auch nicht anders, als hätte sie der geschickteste 
Goldschmied für die Tafel eines Königs geschmiedet. „Packe 
dich mit diesen goldenen Rosen!" schrie der Gärtner, „du hast 
es mit dem Bösen zu tun!“ und so stieß er ihn gar unsanft aus 
dem Garten, indem er die goldenen Rosen unter vielen Verwün¬ 
schungen in die Erde trat. 
Goldener konnte die Worte des Gärtners nicht begreifen; er 
ging getrost wieder in den Wald zurück und nahm sich nochmals 
vor, die Hütte seines Vaters zu suchen. Er lief Tag und Nacht 
von Baum zu Baum, von Fels zu Fels: Am dritten Tage endlich 
wurde der Wald hell und immer heller, und da kam Goldener hinaus 
und an das blaue Meer; das lag in einer unermeßlichen Weite vor 
ihm. Die Sonne spiegelte sich eben in der kristallhellen Fläche, 
da war es wie fließendes Gold; darauf schwammen schön ge¬ 
schmückte Schiffe mit langen, fliegenden Wimpeln. Eine zier¬ 
liche Fischerbarke stand am Ufer, in die trat Goldener und sah 
mit Erstaunen in die Helle hinaus. „Ein solcher Bursch ist uns 
gerade vonnöten!" sprachen die Fischer, und — husch! stießen 
sie vom Lande. Goldener ließ es sich gefallen; denn ihm deuchte 
bei den Wellen ein goldenes Leben, zumal er ganz die Hoffnung 
aufgegeben hatte, seines Vaters Hütte wiederzufinden. Die Fischer 
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