Bäßler.
107
Ferdinand Bäßler.
99. Wineta.
An der nordöstlichen Küste der Insel Usedom sieht man
häufig bei stillem Wetter in der See die Trümmer einer alten
großen Stadt. Es hat dort die einst weltberühmte Stadt
Wineta gelegen, die schon vor tausend und mehr Jahren
wegen ihrer Laster und Wollust ein schreckliches Ende ge¬
nommen hat.
Die Einwohner rrieben einen überaus großen Handel;
ihre Läden waren angefüllt mit den seltensten nnb kost¬
barsten Waren, und es kamen jahrein jahraus Schiffe und
Kaufleute aus allen Gegenden und aus den entferntesten
Enden der Welt dahin. Deshalb floß denn anch in der Stadt
ein über die Maßen großer Reichtum zusammen, daß man
ihn kaum noch unterzubringen wußte. Die Stadttore waren
aus Erz und Glockengut, die Glocken aber aus Silber, uud
das Silber war überhaupt so gemein in der Stadt, daß
man es zu den gewöhnlichsten Dingen gebrauchte und die
Kinder auf den Straßen mit harten Talern spielten. Dafür
traf sie denn der gerechte Zorn Gottes, und die üppige Stadt
wurde urplötzlich von dem Ungestüm des Meeres zu gründe
gerichtet und von den Wellen verschlungen. Darauf kamen
die Schweden von Gotland her mit vielen Schiffeil uild
holteir fort, was sie von den Reichtümern der Stadt aus
dem Meere herausfischen konnten.
Die Stelle, wo die Stadt gestanden, kann man noch heu¬
tiges Tages sehen. Wenn man nämlich von Wolgast über
die Peeile in das Land von Usedom ziehen will und gegen das
Dorf Damerow, zwei Meilen von Wolgast, gelangt, so er¬
blickt man bei stiller See bis tief, wohl eine Viertelnleile in
das Wasser hinein, eine Menge großer Steine, marmorner
Säulen und Fundamente. Das sind die Trümmer der ver-
sunkelien Stadt Wineta.
In der Stadt ist noch immer ein wundersames Leben.
Wenn das Wasser ganz still ist, so sieht man oft unten im