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lang anhaltendes Regenwetter, dann sieht man die geschwollenen Ge¬
wässer des Flusses gänzlich trübe gefärbt. In der Volkssprache Nieder¬
sachsens heißt das Wasser dann „muddig".
So geht es nun im ewigen Kreisläufe vorwärts. War der Strom,
der Felsen zertrümmern und Landstrecken verheeren konnte, bei seiner
Geburt so schwach, daß er kaum das kleinste Steinchen fortzuführen
vermochte, so läßt er auch bei seinem Ende wiederum das kleinste Sand¬
korn kraftlos fallen. So rauben Quellen und Bäche den Gebirgs¬
bewohnern das Land, um es den Küstenbewohnern wiederzugeben, und
die breiten Ströme und das Meer senden täglich mächtige Dunstmassen
zum Himmel, die dann als Regen und Tau die Berge netzen, um
wieder Quellen und Bäche zu schaffen. Je länger und ruhiger also der
Fluß dahinflutet, je mehr Binnenflüsse ihm in seinem langen Lause zu¬
geströmt sind, und je näher er seiner Mündung kommt, desto mächtiger
werden seine Schlammablagerungen, die endlich da, wo Ebbe und Flut
beginnt, wo überhaupt der Einfluß des Meeres anfängt, ihre größte
Bedeutsamkeit erlangen. Durch fortwährende Anhäufung seines Schlam¬
mes vor der Mündung verengt zuweilen ein Strom sich nach und nach
selbst seinen Ausgang und muß sich zuweilen in Arme spalten, um nur
hinaus zu kommen. So entstehen Deltas, wie bei Nil, Ganges, Missis¬
sippi, Wolga, Weichsel, Donau, Rhein u. a. Die Mehrzahl der deutschen
Ströme haben aber keine Deltas gebildet, sondern an ihren Ufern die
Marschen abgesetzt. Ihre letzten Schlamm- und Sandlager, die Watten,
sind nicht mächtig genug, um sich aus den Fluten zu erheben und trocknes
Land zu bilden.
Überall lehnen sich die Marschen flach an den Rand des höheren
sandigen Landes, „die Geest" genannt, oder lagern sich auch zum Teil
auf ihm. Die Benennung Geest hängt wohl mit dem plattdeutschen
Worte „güst" zusammen, das unfruchtbar oder nicht tragend bedeutet.
In den Marschen selbst nennt man alles schlechtweg Geest, was nicht
Marsch oder ihr verwandtes Moor ist, und mancher Bauer meint daher
auch steif und fest, die ganze Welt, seine fruchtbare, fette Heimat aus¬
genommen, sei nur magere, bemitleidenswerte Geest. Der hohe Geest¬
rand war also einst, wie hier und dort auch noch heute, das wirkliche
Flußufer, und so sehen wir alle Marschen die minder fruchtbare Geest
wie ein grüner üppiger Rand umgeben, in den die Geest mit mannig¬
fachen Landzungen und Vorhügeln hineintritt. Beide Bodenarten
grenzen oft so hart aneinander, daß man mit einem Fuße auf trockenem