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es in ihre Arme schloß und auf Stirn und Mund küßte. Und als die
Oberhofmeisterin erschrocken rief: „Mein Gott, was thun (Sure Königliche
Hoheit! Das ist ja gegen allen Anstand und Sitte!" wandte sie sich lächelnd
um und sagte: „Wie? darf ich das jetzt nicht mehr thun?"
Das eheliche Leben des Kronprinzen und der Kronprinzessin wurde
ein leuchtendes Vorbild für das ganze Land. Der Kronprinz nannte seine
Gemahlin „liebe Luise" und redete sie mit „du" an. Am wohlsten war
dem hohen Paare auf dem Landgute Paretz, das ganz einfach, aber ge¬
schmackvoll eingerichtet war. Dort lebte Luise als „gnädige Frau von
Paretz" in der Mitte ihrer Unterthanen, mit denen sie zwanglos verkehrte.
Beim Erntefeste tanzte der Kronprinz nebst seiner Gemahlin mitten unter
den Bauernmädchen und Burschen. Die größte Freude Luisens bestand
darin, wohlzuthun und Elend zu mildern. Dabei begnügte sie sich nicht,
durch einmaliges Geben der augenblicklichen Not abzuhelfen; sie forschte
den Ursachen der Armut nach und beseitigte sie, falls es in ihrer Macht
stand. Selbst bei verdientem Unglück verlor sie die Teilnahme gegen das
Elend nicht, sondern sprach: „Ob der Arme Hilfe verdient vder nicht,
dürfen wir nicht untersuchen. Wer kann das abwägen und unterscheiden?
Und wie macht es denn Gott mit uns, denen er reichlich giebt? Ist nicht
alles Erbarmen und Gnade?"
Am 16. November 1797 bestieg Friedrich Wilhelm den preußischen
Königsthron. Am meisten freute sich die jugendliche Königin, daß sie von
nun an ihre Wohlthaten nicht mehr so ängstlich werde abzumessen brauchen.
In welcher Liebe Luisens Mutterherz für ihre sechs Kinder schlug, sehen
wir aus den Worten, die sie ihrem Vater schrieb: „Unsere Kinder sind
unsere Schätze, und unsere Augen ruhen voll Zufriedenheit und Hoffnung
auf ihnen. Meine Sorgfalt ist meinen Kindern gewidmet für und für.
Es mag kommen, was da will, in der Vereinigung mit unsern Kindern
werden wir glücklich sein."
Die Tage des Glücks für die Königin sollten nicht lange dauern.
Es brach der Krieg mit Frankreich aus. Nach dem unglücklichen Ansgange
der Schlachten bei Jena und Auerstädt im Jahre 1806 mußte sie mit
ihren Kindern Berlin verlassen und in die äußerste Provinz ihres Reiches,
itcicf) Ostpreußen, fliehen. Sie empfand das Unglück ihres Volkes schwer.
Zn ihren Söhnen sprach sie: „Ich beweine den Untergang unseres Hauses
und den Verlust des Ruhmes, mit dem eure Ahnen das Königreich ge¬
schmückt haben. Ruft künftig, wenn eure Mutter nicht mehr lebt, diese
Stunde eurem Andenken zurück! Weint meinem Andenken eine Thräne;
aber begnügt euch nicht mit Thränen, handelt! Befreit euer Volk ans
der Erniedrigung, in der es jetzt schmachtet!"