Full text: [Teil 3 = (6. und 7. Schuljahr), [Schülerband]] (Teil 3 = (6. und 7. Schuljahr), [Schülerband])

346 
es in ihre Arme schloß und auf Stirn und Mund küßte. Und als die 
Oberhofmeisterin erschrocken rief: „Mein Gott, was thun (Sure Königliche 
Hoheit! Das ist ja gegen allen Anstand und Sitte!" wandte sie sich lächelnd 
um und sagte: „Wie? darf ich das jetzt nicht mehr thun?" 
Das eheliche Leben des Kronprinzen und der Kronprinzessin wurde 
ein leuchtendes Vorbild für das ganze Land. Der Kronprinz nannte seine 
Gemahlin „liebe Luise" und redete sie mit „du" an. Am wohlsten war 
dem hohen Paare auf dem Landgute Paretz, das ganz einfach, aber ge¬ 
schmackvoll eingerichtet war. Dort lebte Luise als „gnädige Frau von 
Paretz" in der Mitte ihrer Unterthanen, mit denen sie zwanglos verkehrte. 
Beim Erntefeste tanzte der Kronprinz nebst seiner Gemahlin mitten unter 
den Bauernmädchen und Burschen. Die größte Freude Luisens bestand 
darin, wohlzuthun und Elend zu mildern. Dabei begnügte sie sich nicht, 
durch einmaliges Geben der augenblicklichen Not abzuhelfen; sie forschte 
den Ursachen der Armut nach und beseitigte sie, falls es in ihrer Macht 
stand. Selbst bei verdientem Unglück verlor sie die Teilnahme gegen das 
Elend nicht, sondern sprach: „Ob der Arme Hilfe verdient vder nicht, 
dürfen wir nicht untersuchen. Wer kann das abwägen und unterscheiden? 
Und wie macht es denn Gott mit uns, denen er reichlich giebt? Ist nicht 
alles Erbarmen und Gnade?" 
Am 16. November 1797 bestieg Friedrich Wilhelm den preußischen 
Königsthron. Am meisten freute sich die jugendliche Königin, daß sie von 
nun an ihre Wohlthaten nicht mehr so ängstlich werde abzumessen brauchen. 
In welcher Liebe Luisens Mutterherz für ihre sechs Kinder schlug, sehen 
wir aus den Worten, die sie ihrem Vater schrieb: „Unsere Kinder sind 
unsere Schätze, und unsere Augen ruhen voll Zufriedenheit und Hoffnung 
auf ihnen. Meine Sorgfalt ist meinen Kindern gewidmet für und für. 
Es mag kommen, was da will, in der Vereinigung mit unsern Kindern 
werden wir glücklich sein." 
Die Tage des Glücks für die Königin sollten nicht lange dauern. 
Es brach der Krieg mit Frankreich aus. Nach dem unglücklichen Ansgange 
der Schlachten bei Jena und Auerstädt im Jahre 1806 mußte sie mit 
ihren Kindern Berlin verlassen und in die äußerste Provinz ihres Reiches, 
itcicf) Ostpreußen, fliehen. Sie empfand das Unglück ihres Volkes schwer. 
Zn ihren Söhnen sprach sie: „Ich beweine den Untergang unseres Hauses 
und den Verlust des Ruhmes, mit dem eure Ahnen das Königreich ge¬ 
schmückt haben. Ruft künftig, wenn eure Mutter nicht mehr lebt, diese 
Stunde eurem Andenken zurück! Weint meinem Andenken eine Thräne; 
aber begnügt euch nicht mit Thränen, handelt! Befreit euer Volk ans 
der Erniedrigung, in der es jetzt schmachtet!"
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.