Sagen aus Äomers Ilias.
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Erimmel empor: „Zeus und ihr anderen Götter! Laßt dies mein Knäb-
lein werden wie mich, laßt es mächtig werden in Troja und die Stadt
beherrschen, und dereinst sage man, wenn es beutebeladen aus dem
Streite heimkehrt: Der ist itocf> weit tapferer als sein Vater, und dar¬
über soll sich seine Mutter herzlich freuen!" Mit diesen Worten gab
er den Sohn der Gattin in den Arm, die unter Tränen lächelnd ihn an
den Busen drückte. Erektor aber streichelte sie voll inniger Wehmut mit
der Land und sagte: „Armes Weib, traure mir nicht zu sehr int Er erzen!
Gegen das Geschick wird mich niemand töten, dem Verhängnis aber ist
noch kein Sterblicher entronnen. Auf, geh du zur Spindel und zmn
Webstuhl und gebiete deinen Weibern! Die Männer Trojas müssen
hinaus in den Kampf, vor allen aber ich!"
Als er dies gesagt hatte, sehte er sich den Erelm auf und ging da¬
von. Andromache schritt dem Erause zu, indem sie wiederholt rückwärts
blickte und herzliche Tränen weinte. Als die Mägde in der Kammer-
sie erblickten, teilte sich ihnen allen ihr Gram und ihre Betrübnis mit,
und Erektor wurde, während er noch lebte, in seinem Palast betrauert.
o) Erektors Ende.
Nach Gustav Schwab.
Vergebens hatten der greise König Priamus und seine Gattin
Erekuba ihren heldenmütigen Sohn Erektor von denr Kampfe mit Achill,
der seinen Freund Patroklus rächen wollte, zurückzuhalten gesucht. Er¬
stürmte hinweg. Doch als er den fürchterlichen Peliden im Feuerglanze
seiner Rüstung herannahen sah, da erbebte sein sonst so starkes Ererz.
Er wandte sich eilenden Laufes denr Tore zu, und hinter ihnr her flog
der Pelide, wie ein Falke der Taube nachstürzt. Ein Starker floh, aber
ein Stärkerer folgte. Also kreisten sie dreimal um die Stadt des
Priamus, und vom Olymp sahen alle ewigen Götter denr Schauspiele
mit gespannter- Aufmerksamkeit zu. Als die beiden Erelden nun zum
vierten Male arrf ihrer Runde run die Mauer an die Quellen des
Skanrander gelangt waren, da erhob sich Zeus auf denr Olymp, streckte
die goldene Wage vor und legte zwei Todeslose hinein, das eine für
den Peliden, das andere für Erektor. Dann faßte er die Wage in der
Mitte und wog; da sank Erektors Wagschale tief nach denr Erades zu.
Endlich hielt Erektor, getäuscht durch den Zuspruch der Athene, die
in seines Bruders Deiphobus Gestalt an ihn herangetreten war, int
Lauf inne und rief denr Achilles zu: „Nicht länger entflieh' ich dir,
Pelide; mein Ererz treibt nrich, dir fest gegenüberzustehen, daß ich dick¬
täte oder falle. Laß uns aber die Götter zu Zeugerr eines Eidschwures
Lesebuch für höhere Lehranstalten. Quinta. 10