Full text: [Abt. 2 = Für Quinta, [Schülerband]] (Abt. 2 = Für Quinta, [Schülerband])

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IX. Bilder aus Länder- und Völkerkunde. 
angefallen, und es sehte schwere Kämpfe, wenn sie sich der Räuber 
glücklich erwehren wollten. Schnabel und Fänge sind ihre schrecklichen 
Waffen, die sie trefflich zu gebrauchen wissen. Darum hohe Achtung 
vor jenem Hirtenknaben, der doch noch den Adler kampfunfähig machte, 
obgleich er von seinem Angreifer bereits niedergeworfen und mit den 
stahlscharfen Krallen gepackt worden war! 
Ja, ja, Lerr, diese wilden Vögel sind geborene Räuber, und was 
ein Läkchen werden will, spitzt sich beizeiten, das sehen Sie an meinen 
zersetzten Länden. 
Doch wieder auf unsere Vögli hier zu kommen! Es war uns be¬ 
kannt, daß im Cristallinatal ein Steinadlerpaar sein Rest an einer Fels¬ 
wand von mehr als 300 Meter Löhe gebaut hatte. Der Platz war 
gut ausgewählt; unter einem überhängenden Felsen hatten die Raub¬ 
vögel eine Vertiefung im Gestein benutzt und für ihre Brut hergerichtet. 
Am 14. Mai untersuchte ich zum erstenmal das Rest. Wir mußten 
ihm von oben beizukommen suchen. Die Länge eines Strickes reichte 
nicht aus. Wir waren unser drei. Ich wurde zuerst auf einen hervor¬ 
springenden Fels hinabgelassen; dann folgte mir der zweite meiner 
Kameraden. Dieser ließ mich abermals an einem Seile, das nlich unter 
den Armen umschlungen hielt, in die Tiefe, und so sah ich mich endlich 
dem Reste gegenüber. Drei Eier lagen darin, lang und schmal wie der 
untere Teil einer Weinflasche. So durften wir Anfang Juli zwei Junge 
zu finden hoffen; denn ein Ei bleibt immer unausgebrtttet. 
,w:; Am 10. Juli gingen wir an die Arbeit, die Jungen auszuheben, 
wobei wir die Alten zu schießen hofften. Wieder wurde ich, wie am 
14. Mai, zum Rest hinabgelassen. Da hätten Sie aber das Geschrei 
der Jungen hören sollen, als ich vor ihnen herumbaumelte. Ich drehte 
mich zuerst wie ein Kreisel; dann fand ich Gelegenheit, mich festzuhalten. 
Da kamen mit flatternden Flügelschlägen zwei junge Adler auf mich zu 
und hackten unaufhörlich nach mir. Bald wurden nun auch die Alten 
sichtbar und zogen — leider außer Schußweite — hoch über uns ihre 
Kreise. Die schlauen Räuber merkten wohl, daß sie es mit Jägern zu 
tun hatten. Sie fürchteten die Büchsen meiner Kameraden, deswegen 
griffen sie mich nicht an. Äbrigens war ich mit einem Revolver be¬ 
waffnet. Run kletterte ich aus das Rest, auf dem drei Männer be¬ 
quem sich hätten lagern können, und ging an die saure Arbeit, den 
größeren der Vögel festzunehmen. Daß dies nicht ohne Kamps abging, 
zeigen meine Lände. Endlich hatte ich dem störrigen Vögli einen Sack 
über den Kopf gezogen und unten zugebunden. Freilich kamen die Füße 
nicht mit in den Sack, denn das Tier hatte sich an einem starken Tannen-
	        
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