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IX. Bilder aus Länder- und Völkerkunde.
gleichen hergestellt werden. Wo die Wogen allzu ungestüm anprallen,
wird wohl eine Lolzbekleidung geschaffen; und wo auch diese nicht aus¬
reicht, da muß der Fels zu Äilfe kommen und als wohlgeformter Quader¬
stein, der zwischen sich und seinem Nachbar nirgend eine Lücke läßt, die
Wellen abweisen.
Schaut hinüber nach der weiten Meeressläche! Zwischen ihr und
uns breitet sich noch ein wüster Strand aus, weil jetzt die Ebbe herrscht.
Angehindert kann das Wasser vom Lande in die See stießen. Damit
es aber vom Damme nicht aufgehalten wird, so ist dieser von Stollen
durchbohrt, die den Abstuß des Landwaffers möglich machen. Die Tore
an der Innenseite der Stollen können geschlossen werden. Dann ist dem
Landwasser der Durchgang verwehrt, und es muß sich aufstauen. Der
Marschbewohner löst, wenn seine Fluren der Feuchtigkeit bedürfen, die
Eisen, welche die Tore offen halten; nun schließt der Druck des Wassers
selbst schon die Tore zu. Die gestaute Flut steigt mehr und mehr und
tritt durch die Kanäle und Gräben in die Felder und Wiesen des
Marschlandes, um ihnen die nötige Feuchtigkeit zu bringen. So kommt
es, daß hier die Auen im frischesten Grün prangen, wenn anhaltende
Dürre im Binnenlande die Pstanzenwelt fast vernichtet. Nach dem
Meere zu gewahren wir an diesen Stollen noch stärkere Tore. Sie
öffnen sich nach außen, geben also dem Druck des zum Meere stießenden
Binnenwassers nach und lassen es ungehindert hindurch.
Stürmen aber zur Zeit der Flut die Meereswogen heran, so er¬
fassen sie die Torstügel, drücken sie gegen den Damm und verschließen
sich dadurch selbst den Weg ins Land.
So nimmt der menschliche Geist den Riesen, dessen er sich zu er¬
wehren hat, in Dienst bei dieser Abwehr. Das Meer muß sich selbst
die Pforte, durch die es einbrechen könnte, verschließen, und der Marsch¬
bewohner schläft ruhig trotz Sturm und Flut, denn er weiß, daß die
Tore, wenn sie sonst fest genug gebaut sind, unfehlbar vom zuverlässigsten
Pförtner, Meer genannt, zugemacht werden.
Tritt dann aber die Ebbe wieder ein, so drücken die Landwasser
die Tore auf und finden ihren ungehinderten Abfluß durch das Watt
zur See.
Dieses Watt, d. h. der Strand zwischen den Deichen und der
zurückgetretenen Meeresstut, bietet einen trostlosen Anblick. Es ist
ebenso öde und kulturlos, wie die hinter uns liegenden Marschen freund¬
lich belebt und wohl angebaut sind. Nicht der Pstug des Menschen
hinterläßt im Watt seine Spuren, nur die Wogen ziehen ihre Furchen,
wenn sie gegen die Dämme rollen. Die Seevögel halten hier ihre