Full text: [Abt. 2 = Für Quinta, [Schülerband]] (Abt. 2 = Für Quinta, [Schülerband])

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IX. Bilder aus Länder- und Völkerkunde. 
Wäldern, glitzernden Sandbrinken vorüber; stolze Eichen wachsen an ihren 
Elfern und stattliche Fichten; ihre Aferhügel lassen Platz genug sür 
fruchtbare Wiesen, gehen aber nie soweit von ihr fort, daß unendliche 
Marschflächen die stillen Schönheiten der Äeide beiseite schieben wie an 
der Aller. 
Die ist ja auch gar kein Äeidfluß, sondern so ein richtiger Aller¬ 
weltsfluß; aus Sachsen gebürtig, bringt sie eine fremde Sprache und 
fremde Sitten mit, prahlt von Bergen und Burgen, um plötzlich, noch 
mitten in der Äeide, sich als Marschenbäuerin aufzuspielen; stolz und 
hoffärtig, weiß sie nicht, wie dick sie sich tun soll an guten Tagen, um 
dann wieder ganz klein zu werden in der Sonne, wenn die Berg¬ 
flüsse, die Leine, die Ruhme und die Innerste, ihr nicht mehr aushelfen 
können. 
Die Örtze aber bleibt, wie eine richtige Äeidjerin, sich immer 
gleich, im heißen Sommer und wintertags, im Frühling und wenn der 
Äerbst im Lande ist; sie ist fröhlich in guten Zeiten, aber mit Maßen, 
sinnig, aber nicht schläfrig, still, aber nicht langweilig; es fällt ihr nicht 
ein, sich so zu überstürzen wie die wilde Böhme, aber so langsam 
wie die faule Fuchse ist sie auch nicht. Sie hält immer die richtige 
Mitte. 
Ihr liegt gar nichts daran, in der Leute Mäuler zu kommen; 
es wäre eine Kleinigkeit sür sie, aus dem Wietzeberg bei Müden in 
einigen Jahrhunderten ein ebenso berühmtes Fleckchen zu machen, wie 
es die Böhme bei Fallingbostel schuf. Sie aber gibt, was sie hat, und 
nicht mehr. 
Sie hat auch genug sür den, den der Weg an ihr vorbeiführt; 
erst Munster mit seinen: bunten Soldatenleben, dann das freundliche 
Müden mit seinen alten Eichkämpen um die festen Ääuser, dann 
Äermannsburg, wo ihre Wiesen sich weiten, dann Beckedorf, Olden¬ 
dorf, Eversen, Wolthausen mit vielen heimlichen Winkeln und traulichen 
Ecken, und selbst da, wo es mit ihr zu Ende geht, bei Winsen. 
Das Örtzeende vor Winsen ist ein kleines Paradies; wer da im 
Mai ist, wenn die Bäume grünseidene Blätter haben und alle decken 
blühen, wenn an den Äsern die goldenen Schwertlilien leuchten und 
aus allen Zweigen die Vögel singen, dem lacht das Äerz im Leibe; 
und ist er dort, wenn der Tag zur Rüste geht, wenn die Fische sich 
werfen und das Rotkehlchen sein Abendlied singt, dann kommt Selig¬ 
keit über ihn. 
Vielleicht aber wird er auch traurig, weil er dort Abschied für 
immer nehmen muß von der Örtze, und er bleibt lieber in Wolthausen,
	        
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