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in der Luft: dies war das Zeichen, das er den hinter der Insel lauernden
Griechen gab. Dann sprang er dahin, wo das hölzerne Pferd stand,
und pochte dreimal an den hohlen Bauch. Leise, leise stieg ein Held nach
dem andern heraus. Sie öffneten zuerst die Tore, dann aber zogen sie
die Schwerter und hieben schonungslos die auf den Straßen schlum¬
mernden Trojaner nieder. Zugleich schleuderten sie Feuerbrände in die
Häuser. An aNen Enden schon loderten die Flammen empor, als die
Bewohner der unglücklichen Stadt allmählich zum Bewußtsein kamen.
Nun erhob sich allenthalben ein herzzerreißendes Wehgeschrei und eine
gräßliche Verwirrung. Unterdes waren die Schiffe gelandet, und in
gestrecktem Lauf stürmten die Scharen der Griechen durch die offenen
Tore. Wie blutgierige Wölfe aus die wehrlosen Schafe, so stürzten sie
sich auf die schlaftrunkenen Bürger. Niemand wurde verschont; auf allen
Gassen, in allen Häusern ertönten die stöhnenden Laute der Sterbenden;
das Blut floß in Strömen. Wohl griffen die Männer und Jünglinge
der Trojaner zu Beilen, Spießen, Feuerbränden, und was sie sonst
in der Bedrängnis erwischten, und wehrten sich mit dem Mut der
Verzweiflung. Aber der Übermacht der wohlgerüsteten Feinde erlagen
sie zuletzt doch alle. An seinem Hausaltar sank der ehrwürdige König
Priamus tot danieder, das Schwert eines Griechen machte dem
Leben des unglückseligen Greises ein Ende. Hektors zartes Söhnlein
erfaßte ein entmenschter Krieger beim Fuße und schleuderte es von der
höchsten Zinne des Hauses auf die Straße hinab, daß das liebliche Haupt
zerschellte. Die edelsten Frauen wurden als Sklavinnen hinweggeschleppt,
unter ihnen auch die hochbetagte Königin Hekuba, die Töchter des
Königs und die verzweifelnde Gattin des herrlichen Hektar, die be¬
jammernswerte Andromache.
Die Männer erlagen sämtlich der Wut der Feinde. Nur einem
Helden gelang es, aus dem Vlutbade zu entrinnen. Das war Äneas.
Dieser nahm als ein liebevoller Sohn seinen greisen Vater auf den
Rücken und sein junges Söhnchen an die Hand und eilte mit ihnen,
unter dem Schutz seiner göttlichen Mutter Aphrodite, über die Haufen
der Ermordeten aus der Stadt. So rettete er sich und die beiden
Menschen, die ihm am teuersten waren, aus dem allgemeinen Unter¬
gang. Nach langem Umherirren in fremden Ländern gewann er sich
endlich eine neue Heimat in dem fernen Italien.
Ein rauchender Trümmerhaufen voll verstümmelter Leichen lag nun
da, wo noch am Tage zuvor die reiche, blühende Stadt eines tapfern