Full text: (Fünftes und sechstes Schuljahr) (Teil 3, [Schülerband])

in der lauen Luft. Die Sonne sank aber, und die Luft ward kühler. 
Nun legen die unsichtbaren Wasserteilchen ihr Abendkleid an; sie werden 
zu Nebel. Viele von ihnen setzen sich nieder ans Gräser und Blumen; 
sie werden Meder zu Tropfen, und die Menschen nennen sie Abendtau. 
Käfer und Mücken, Blumen und Sträucher meinen aber, das sei ihr 
Abendbrot. 
Die meisten der Nebelbläschen jedoch halten einen Umzug über 
den sumpfigen Wiesengrund und über das Bett der Flüsse und Bäche. 
Dann lagern sie sich wie ein weißgrauer Streifen über das niedre Land. 
Wer mitten in der dichten Nebelschicht geht, dem werden Gesicht und 
Kleider feucht und kalt. Millionen winziger Nebelbläschen schweben um 
ihn herum. Klein und gering ist jedes von ihnen: es vermag nicht dem 
leisesten Luftzug zu widerstehn. Der Flügelschlag einer Mücke jagt es 
von seiner Stelle. Wenn sich aber viele vereinen, dann vermögen sie 
Großes zu bewirken. 
Entflieht die Nacht, so rollt der frische Morgenwind die Nebeldecke 
der Wiesen und Sümpfe zusammen. Sie wird vielfach zerrissen und 
als Streifen und massenhafte Ballen hoch in die Luft geführt. Die 
Strahlen der aufgehenden Sonne spiegeln sich in den unzähligen Wasser¬ 
bläschen, die jetzt mancherlei Wolken am blauen Himmel bilden. Wie 
die Teppiche am Thron eines mächtigen Königs prangen purpnrrot 
die Wolken. Hundert andre kleine Wölkchen quellen unter ihnen hervor, 
und ebenso viele umgeben die Sonne mit dem blendendsten Glanze wie 
flüssiges Gold. 
Höher und höher steigt das Tagesgestirn, und zu immer dichteren 
Haufen wickeln sich die Wolken zusammen. Die Farbenpracht verliert 
sich. Düstrer und immer düstrer werden sie. Endlich erscheinen sie 
schwarzgrau und unheimlich. Nur an den Rändern sind sie weißlich 
und gleichen riesenhaften Gebirgen, deren Scheitel der Schnee krönt. 
Ein Gewitter zieht herauf. Der Landmann lenkt seine Pferde vor dem 
Pfluge nach Hause; die Spaziergänger suchen eilig ein schützendes Ob¬ 
dach. Welk und matt hängen die Blumen; die Blätter sind gesenkt und 
durstig. Ängstlich suchen die Singvögel ein sicheres Versteck, und die 
Schwalben fliegen kreischend unter der schwarzen, drohenden Wolke hin. 
Da zuckt aus dem Wolkenknäuel ein Blitz! Ein krachender Donner 
rollt über die Landschaft. Erschreckt schauen die Menschen ans den 
Fenstern, ob irgendwo ein Turm oder ein Haus durch das Feuer der 
Wolke entzündet worden sei oder ein Baum zersplittert stürze. — 
Zugleich vereinigen sich viele der Nebelbläschen zu Tropfen, und frucht- 
Plümer-Haupt-Bachmann, Lesebuch Ausg. B. 3. 4 
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