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113. Die Havelschwäne.
ihn, er sucht sonnige Ufer und Jnselstellen ans und eilt erst den zweiten
oder dritten Tag wieder seinen Heimatplätzen in einem der Havelseen zu.
Einen ganz anderen Zweck verfolgt das Einsangen im Winter, wenn
die Havel zugeht. Die schönen Tiere würden im Eise umkommen. Sie
werden deshalb zusammengetrieben, um an solche Havelstellen gebracht zu
werden, die nie zufrieren oder doch fast nie zufrieren. Diese eisfreien
Stellen befinden sich bei Potsdam und selbst fast mitten in der Stadt. Die
Überführung in Booten ist jetzt unmöglich, da schon große Teile des Flusses
durch Eis geschlossen sind; so treffen sie denn in allerhand Gefährt, in Bauer¬
und Möbelwagen, selbst in Eisenbahnwaggons, in ihrem Potsdamer Winter¬
hafen ein.
Sie haben nun wieder sicheres Wasser unter den Füßen, die Gefahr
des Erfrierens ist beseitigt, aber die Gefahr des Verhungerns — 2000 Schwäne
auf einer sehr kleinen Fläche — würde um so drohender an sie herantreten,
wenn nicht durch Fütterung für sie gesorgt würde. Diese erfolgt in den
Wintermonaten täglich zweimal, morgens um 8 und nachmittags um 3 Uhr,
lmmer an einer Stelle, und zwar hinter der Eisenbahnbrücke am Ende des
Lustgartens, weil diese wegen des starken Stromes nur selten zufriert.
Schon um Mittag ziehen sich die Schwäne von allen noch offenen
Stellen der Havel und aus den Kanälen der Stadt in der Nähe jener
Stelle zusammen. Unruhig ziehen sie nicht einzeln, sondern zu Hunderten
ueben- und hintereinander, am Ufer hin und her auf eine Stelle zu, von
wo sie mit hochaufgerecktem Halse über die Uferbrüstung hinweg den langen
Wallweg hinunter sehen können, auf dem der Schwanenmeister mit seinem
^ornkarren heranfahren muß. Kaum taucht seine Mütze zwischen den Bäumen
auf, so fährt eine ganz besondere Unruhe in das zahlreiche Rudel. In
höchster Aufregung rudern sie sofort nach dem Futterplatze, und wenn sie
ihn dort noch nicht sehen, wieder zurück zu der Stelle, wo sie seine An-
uäherung beobachten können. Diese unruhige Wanderung wiederholt sich
so lange, bis der Schwanenmeister mit Karre und Gerstensack an der Brücke
angekommen ist. Nun entsteht ein wahrer Aufruhr unter den Tieren. Alle
stürzen übereinander und nebeneinander hin und recken die Hälse, um nur
sa keine Bewegung ihres Hüters zu übersehen und den ersten Schaufelwurf
nicht zu versäumen. Noch ist es indessen nicht so weit. Der Schwanen-
weister geht erst auf die Brücke, um in langgezogenen Tönen sein „Hans!
Hans!" zu rufen, auf welchen Ruf die etwa noch Verspäteten von allen
Seiten herbeischwimmen. Solange dies Rufen dauert, halten sich die Schwäne
w der Nähe der Brücke. Hört es aber auf, und wendet der Rufende sich
äu dem eigentlichen Futterplatze, so rauscht das ganze Schwanenheer in einer
großen, blendendweißen Masse, drängend wie ein Keil und gewaltsam wie
bie Räder eines Dampfschiffs im Wasser neben dem am Ufer gehenden
Schwanenmeister her. Während der Sack aufgebunden wird, schroten sich
einige der gierigsten über die Eisschollen und Ränder am Ufer auf das
teste Land, watscheln unbehilflich zum Karren, um womöglich die ersten zu