Hebel: Der geheilte Patient
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der Folter; denn die Schande, vielleicht zu meinem Oheim zurück¬
gebracht zu werden, schien mir unerträglich.
Endlich rief man mich in die Kajüte. „Ich habe mir's überlegt,"
hub hier der Kapitän an, „und du magst bleiben. Du sollst Steuer-
mannsjunge sein und monatlich sechs Gulden Gage haben; auch will
ich für deine Kleidungsstücke sorgen. Doch, höre, sobald wir mit dem
Schiffe in den Texel kommen, schreibst du selbst an deines Vaters
Bruder und erklärst ihm den ganzen Zusammenhang. Den Brief will
ich lesen und auch für seine sichere Bestellung sorgen." — Man
denke, wie freudig ich einschlug, und was für ein Stein mir vom
Herzen fiel! Jetzt gingen wir auch unter Segel. Wie die Folge er¬
geben hat, ist jedoch jener Brief mit oder ohne Schuld des Bestellers
nicht an meinen Oheim gelangt; entweder daß dieser zu früh von
Amsterdam abgefahren, oder daß das Blatt unterwegs verloren ge¬
gangen war. Mein Tod schien also nicht mehr zweifelhaft; man
glaubte (wie ich später erfuhr), ich sei in der Nacht aus der Jolle
gefallen, die man am nächsten Morgen zwischen andern Schiffen
umhertreibend gefunden hatte.
7. Der geheilte Patient.
Johann Peter Hebel. Sämtl. Werke. 3. Band. Karlsruhe.
Reiche Leute haben trotz ihrer gelben Vögel doch manchmal
auch allerlei Lasten und Krankheiten auszustehen, von denen gott¬
lob! der arme Mann nichts weiß; denn es gibt Krankheiten, die
nicht in der Luft stecken, sondern in den vollen Schüsseln und
Gläsern und in den weichen Sesseln und seidenen Betten, wie
jener reiche Amsterdamer ein Wort davon reden kann. Den ganzen
Vormittag saß er im Lehnsessel und rauchte Tabak, wenn er
nicht zu träge war, oder hatte Maulaffen feil zum Fenster hinaus,
aß aber zu Mittag doch wie ein Drescher, und die Nachbarn
sagten manchmal: „Windet’s draußen, oder schnauft der Nachbar
so?“ -- Den ganzen Nachmittag ass und trank er ebenfalls bald
etwas Kaltes, bald etwas Warmes, ohne Hunger und ohne Appetit
aus lauter Langerweile bis an den Abend, also, daß man bei ihm
nie recht sagen konnte, wo das Mittagessen aufhörte, und wo das
Nachtessen anfing. Nach dem Nachtessen legte er sich ins Bett
und war so müde, als wenn er den ganzen Tag Steine abgeladen
oder Holz gespalten hätte. Davon bekam er zuletzt einen dicken
Leib, der so unbeholfen war wie ein Maltersack. Essen und Schlaf