Willmann: Der Penelope und des Laertes Freude.
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fuhren von den Sitzen auf und stürmten durch den Saal, nach den
Waffen an den Wänden suchend; doch da war kein Schild noch fester
Speer herunterzuholen. Zornig fuhren sie Odysseus an: „Das war
ein unseliger Schuß, Fremdling! Es ist dein letzter Wettkampf gewesen.
Jetzt ist's um dich geschehen; den du erschossen, war der erste der jungen
Edeln von Jthaka; dafür sollen dich die Geier fressen!" So wähnten
die Thoren, er habe jenen ohne Absicht erschossen, und ahnten nicht,
daß ihnen allen der Untergang verhängt war. Grimmigen Blickes rief
ihnen Odysseus zu: „Ihr Hunde! Dachtet ihr gar nicht daran, ich
könnte einmal wiederkehren aus der Troer Bezirk in die Heimat, daß
ihr mein Haus verwüstetet und um mein Weib bei meinen Lebzeiten
warbet, ohne Furcht vor den Göttern, die den weiten Himmel innehaben,
und ohne Scheu vor dem Unwillen der Menschen? Nun ist euch allen
der Untergang verhängt".
Jetzt erhob sich ein grauses Würgen. Athene schüttelte den Sturm¬
schild hoch von der Decke her. Entsetzt rannten jene durch die Halle
wie Rinder der Herde, welche die schwirrende Bremse angreift und jagt
im Frühlinge, wenn die Tage länger werden. Und wie Habichte des
Gebirges mit scharfen Krallen und krummen Schnäbeln die kleinen Vög-
lein anfallen, die angstvoll aus den Lüften aufs Gefilde niederflattern,
und sie im Stoße erlegen, daß es keine Abwehr und kein Entrinnen
giebt: so fielen Odysseus und die Seinen die Freier an; das Stöhnen
der Getroffenen erscholl durch die Halle, und der ganze Boden dampfte
von Blut.
Nun hielt Odysseus Umschau, daß ihm keiner der Freier lebend
entrinne. Doch er. fand sie allesamt in ihrem Blute am Boden; wie
Fische, welche der Fischer im maschenreichen Netze aus dem grauen
Meer ans Gestade gezogen und welche, auf dem Sande liegend und
nach der Woge schmachtend, unter Helios' Strahlen ihr Leben lassen,
so lagen die Freier hingestreckt auf dem Boden der Halle.
53. Der Penelope und des Laertes Freude.
Nach O. Willmann. Lesebuch aus Homer. Oldenburg, 1875.
Da rief Odysseus Eurykleia herbei, und als sie die Toten und die
Blutlachen sah, jauchzte sie auf und jubelte über das große Werk. Doch
Odysseus hielt sie zurück und sprach: „Im Herzen birg deine Freude,
Weib, halt an dich und juble nicht! Denn gottlos ist es, zu froh¬
locken über erschlagene Menschen; diese sind durch der Götter Fügung
um ihres ruchlosen Thuns willen gefallen; ihnen aalt kein Mensch
auf Erden etwas, der ihnen nahte, bös oder gut; so haben sie sich
durch ihren Frevel dies schmähliche Ende zugezogen". Drauf hieß er
die Mägde die Leichen hinaustragen und in den Hallen des inneren
Hofes eine über die andere, niederlegen, den Boden aber und die schö¬
nen Sessel und Tische mit Wasser und lockeren Schwämmen reinigen.
Und Eurykleia brachte Schwefel und Feuer und räucherte im Saale,
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