Lesestücke für Seminar und Haus.
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viel zu bewältigen, so viel mit dem Lärmenden zu thun und nur allzu
viel: achtest du nicht daraus, daß alles in Ordnung sei, das; das Schweigen
du sei, so kommt nie das Schweigen in dein Haus hinein.
Achte darauf wohl! Denn in diesen Zeiten lernt ein Mädchen
so viel im Institut, beides Englisch und Französisch und Zeichnen, und
zu Hause lernt sie gewiss manche nützliche Sache: es ist nur die Frage,
ob sie in diesen Zeiten das lernt, was das Wichtigste ist, das, was
sie später lehren soll, denn es sind doch nur Einzelne, die später dazu
kommen, Englisch und Französisch zu lehren, ob sie lernt: Schweigen.
Ich weiß es nicht, aber du, du sei ausmerksam in dieser Hinsicht, es
ist ja deine Aufgabe, das Schweigen anzubringen. Denke an das Wort
des Apostels von der Selbstbetrachtung im Spiegel des Wortes! Denn
ein Weib, das sich viel spiegelt, wird eitel und in Eitelkeit geschwätzig!
Ach, und ein Weib, das sich im Spiegel der Zeit spiegelt, wird laut
und lärmend! O, aber ein Weib, das sich im Spiegel des Wortes
spiegelt, wird schweigsam! Und wird sie das, so ist das vielleicht der
stärkste Ausdruck dafür, daß sie nicht eine vergeßliche Leserin oder
Hörerin ist. Der, welcher, nachdem er sich im Spiegel des Wortes
betrachtet hatte, ein Redender wurde, — kann vielleicht dadurch bekunden,
daß er nicht vergessen hat; aber der, welcher schweigsam wurde, — der
hat gewiß nicht vergessen. *
15. Über Schädigung des Gefühlslebens.
(Charlotte Duncker, Gedanken und Erfahrungen über Ewiges und
Alltägliches, I., S. 378 f.)
Wie können rvir uns dagegen schützen, daß nicht unser Leben in
Gefühlswidersprüchen verlause? Wie können wir verhindern, daß weder
das Gefühl träge und matt werde, noch durch übergroße Beweglichkeit
uns um Zeit und Kraft betrüge?
Es ist zum Teil nur Folge unserer überkünstelten Verhältnisse und
einer krankhaft wuchernden Bildung, daß das Gefühl uns heute so viel
zu schaffen macht: in einfachen und naturgemäßen Verhältnissen, in
welchen das Gemüt sich sättigt an Beziehungen, welche dauern und
Treue verlangen, pflegt der Strom der Gefühle stark und tragkrüstig
zu fluten. Mögen immerhin Lust und Weh, Sorge und Hoffnung in
uns wechseln; nicht die Wechsel des Geschickes, welches heute Freude