Full text: Deutsche Dichtung des 18. Jahrhunderts (Band 2, [Schülerband])

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Goethe als Dramatiker 
Goethe sein Leben lang nicht befreien können. In seiner Dichtung über⸗ 
windet sie mehrere Jahre hindurch den eingebornen Sinn für die schöne 
Form, so daß sein Streben dahin geht, in flüchtig hingeworfenen Bildern 
das Dasein großer Menschen zu zeichnen, absichtlich jede Rücksicht auf 
die Bühnendarstellung, auf die dramatische Form verschmähend. So 
entstanden „Götz“ und „Faust“. 
Während die Arbeit am „Faust“ sich durch Goethes ganzes ferneres 
Leben hinzog, ist der „Götz“ mit schnellem Entschluß in wenigen Wochen 
des Herbstes 1771 hingeworfen worden. Diese älteste Gestalt zeigt schon 
durch ihren Titel an, was der Dichter damit beabsichtigte. „Geschichte 
Gottfriedens von Berlichingen mit der eisernen Hand, dramatisiert“: 
eine Reihe von Episoden aus der Selbstbiographie des Helden heraus⸗— 
gehoben, in skizzenhaften Bildern nebeneinander gestellt und durchsetzl 
mit frei erfundenen Gestalten, unter denen Adelheid, das dämonische 
Machtweib, dem Dichter immer stärker ans Herz wuchs, so daß sie gegen 
den Schluß hin das Interesse an Berlichingens Schicksal zu überwinden 
drohte. Das Personenverzeichnis fehlt, die Unzahl der Verwandlungen, 
im ganzen 57, zeigt klar, daß jeder Gedanke an die Aufführung dem 
Dichter fern lag, wie auch der Umfang weit über das Maß eines bühnen— 
mäßigen Dramas hinausging. Sehr bald gelangte Goethe bei ruhigerer 
Betrachtung dazu, dem Urteil Herders über den „Gottfried“ beizustimmen, 
„daß Euch Shakespeare ganz verdorben“. Er erkannte, daß er bei dem 
Versuch, auf die Einheit der Zeit und des Orts Verzicht zu tun, auch der 
höheren Einheit, die desto mehr gefordert wird, Eintrag getan habe. 
So schreibt er denn im Februar und März 1773 das Ganze um, 
freilich auch jetzt noch ohne die Absicht der Veröffentlichung oder gar 
der Bühnendarstellung. Nur durch Merck, den erfahrenen, scharfsinnigen 
Freund, der spottet, was denn das ewige Arbeiten und Umarbeiten heißen 
solle, wird der Dichter gezwungen, „Götz von Berlichingen mit der eisernen 
Hand. Ein Schauspiel“ 1773 in Druck zu geben. 
Fast alle Kritiker waren darin einig, daß man dies „schöne Ungeheuer“ 
nicht aufführen könne, bis uns irgendeine wohltätige Fee ein eigen Theater 
und eigene Schauspieler dazu herzaubere. Trotzdem wagte der Berliner 
Theaterdirektor Koch die Aufführung. Er reduzierte die Anzahl der Ver— 
wandlungen auf 23, ließ eine Reihe entbehrlicher Personen verschwinden, 
und schon am 12. April 1774 schritten die Ritter in Harnischen und Stiefeln 
über die Bühne in der Behrenstraße. Zum ersten Male wurde das 
historische Kostüm auf der deutschen Bühne angewendet; aber freilich 
mußte daneben noch ein eingelegtes Zigeunerballett die Schaulust zu 
sättigen suchen. Der Erfolg entsprach den Aufwendungen des Direktors;
	        
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