Full text: Deutsche Dichtung des 18. Jahrhunderts (Band 2, [Schülerband])

Schillers Charakter als Dichter 
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Was jedem Beobachter an Schiller am meisten als charakteristisch 
bezeichnend auffallen mußte, ist dies, daß in einem höhern und präg— 
nanteren Sinn, als vielleicht je bei einem andern, der Gedanke das 
Element seines Lebens war. Anhaltend selbsttätige Beschäftigung des 
Geistes verließ ihn fast nie und wich nur den heftigeren Anfällen seines 
körperlichen Übels. Sie schien ihm Erholung, nicht Anstrengung. Dies 
zeigte sich am meisten im Gespräch, für das Schiller ganz eigentlich ge— 
boren schien. Er suchte nie nach einem bedeutenden Stoff der Unter— 
redung, er überließ es mehr dem Zufall, den Gegenstand herbeizu— 
führen; aber von jedem aus leitete er das Gespräch zu einem allge— 
meinen Gesichtspunkt, und man sah sich nach wenigen Zwischenreden 
in den Mittelpunkt einer den Geist anregenden Diskussion versetzt. Er 
behandelte den Gedanken immer als ein gemeinschaftlich zu gewinnendes 
Resultat, schien immer des Mitredenden zu bedürfen, wenn dieser sich 
auch bewußt blieb, die Idee allein von ihm zu empfangen, und ließ 
ihn nie müßig werden. Hier unterschied sich sein Gespräch am meisten 
von dem Herderschen. Nie vielleicht hat ein Mann schöner gesprochen 
als Herder, wenn man, was bei Berührung irgend einer leicht bei ihm 
anklingenden Saite nicht schwer war, ihn in aufgelegter Stimmung an— 
traf. Alle seltenen Eigenschaften dieses mit Recht bewunderten Mannes 
schienen, so geeignet waren sie für dasselbe, im Gespräch ihre Kraft 
zu verdoppeln. Der Gedanke verband sich mit dem Ausdruck, mit der 
Anmut und Würde, die, da sie in Wahrheit allein der Person ange⸗ 
hören, nur vom Gegenstande herzukommen schienen. So floß die Rede 
ununterbrochen hin in der Klarheit, die doch noch dem eigenen Erahnen 
etwas übrig läßt, und in dem Helldunkel, das doch nicht hindert, den 
Gedanken bestimmt zu erkennen. Aber wenn die Materie erschöpft war, 
so ging man zu einer neuen über. Man förderte nichts durch Einwen— 
dungen, man hätte eher gehindert. Man hatte gehört, man konnte nun 
selbst reden; aber man vermißte die Wechseltätigkeit des Gesprächs. 
Schiller sprach nicht eigentlich schön. Aber sein Geist strebte immer in 
Schärfe und Bestimmtheit einem neuen geistigen Gewinne zu; er be— 
herrschte dies Streben und schwebte in vollkommener Freiheit über seinem 
Gegenstande. Daher benutzte er in leichter Heiterkeit jede sich darbietende 
Nebenbeziehung, und daher war sein Gespräch reich an Worten, die 
das Gepräge glücklicher Geburten des Augenblicks an sich tragen. Die 
Freiheit tat aber dem Gange der Untersuchung keinen Abbruch. Schiller 
hielt immer den Faden fest, der zu ihrem Endpunkt führen mußte, und 
wenn die Unterredung nicht durch einen Zufall gestört wurde, so brach 
er nicht leicht vor Erreichung des Zieles ab.
	        
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