Gottfried August Bürger.
9
/2.
Gottfried August Bürger.
6. Winterlieb.
1. Der Winter hat mit kalter Hand
Die Pappel abgelaubt
Und hat das grüne Maigewand
Der armen Flur geraubt;
Hat Blümchen, blau und rot und weiß,
Begraben unter Schnee und Eis.
2. Doch, liebe Blümchen, hoffet nicht
Von mir ein Sterbelied.
Ich weiß ein holdes Angesicht,
Wo Schönheit euch erzieht.
Blau ist des Augensternes Rund,
Die Stirne weiß und rot der Mund.
3. Was kümmert Amsel mich im Tal,
Was Nachtigall im Hain?
Denn Molly trillert hundertmal
So hell und silberrein.
Ihr Atem ist wie Frühlingsluft,
Erfüllt mit Hyazinthenduft.
4. Wann mich ihr Purpurmund begabt,
Ach, welch ein Wohlgenuß!
Die Erdbeer' und die Kirsche labt
Nicht süßer als ihr Kuß. —
O Mai, was frag' ich viel nach dir!
Der Frühling lebt und webt in ihr.
Sämtliche Werke, Bd. I (Gedichte, I), S. 68 f.
7. Lenore.
t. Lenore fuhr ums Morgenrot
Empor aus schweren Träumen:
„Bist untreu, Wilhelm, oder tot?
Wie lange willst du säumen?" —
Er war mit König Friedrichs Macht
Gezogen in die Prager Schlacht
Und hatte nicht geschrieben,
Ob er gesund geblieben.