Johann Joachim Mnckelmann
\ Caokoon.
Laokoon ist eine Statue im höchsten Schmerze, nach dem Bilde
eines Mannes gemacht, der die bewußte Stärke des Geistes
gegen denselben zu sammeln sucht; und indem sein Leiden die
Muskeln aufschwellt und die Nerven anzieht, tritt der mit Stärke
bewaffnete Geist in der anfgetriebenen Stirn hervor, und die Brust
erhebt sich durch den beklemmten Atem und durch Zurückhaltung
des Ausbruchs der Empfindung, um den Schmerz in sich zu fassen
und zu verschließen. Das bange Seufzen, welches er in sich, und
der Atem, den er an sich zieht, erschöpft den Unterleib und macht die
Seiten hohl, was uns gleichsam von der Bewegung seiner Einge- 10
weide urteilen läßt. Sein eigenes Leiden aber scheint ihn weni¬
ger zu beängstigen als die Pein seiner Kinder, die ihr Angesicht zu
ihrem Vater wend'en und um Hilfe schreien; denn das väterliche
Herz offenbart sich in den wehmütigen Augen, und das Mitleiden
scheint in einem trüben Duste auf denselben zu schwimmen. Sein
Gesicht ist klagend, aber nicht schreiend, seine Augen sind nach der
höheren Hilfe gewandt. Der Mund ist voll Wehmut und die ge¬
senkte Unterlippe schwer von derselben; in der überwärts gezogenen
Oberlippe aber ist dieselbe mit Schmerz vermischt, welcher mit
einer Regung von Unmut, wie über ein unverdientes, unwürdiges 20
Leiden, in die Nase hinauftritt, dieselbe schwülstig macht und sich
in den erweiterten und aufwärts gezogenen Nüstern offenbart.
Unter der Stirn ist der Streit zwischen Schmerz und Widerstand,
wie in einem Punkte vereinigt, mit großer Weisheit gebildet; denn
indem der Schmerz die Augenbrauen in die Höhe treibt, drückt
das Sträuben wider denselben das obere Augenfleisch niederwärts
und gegen das obere Augenlid zu, so daß dasselbe durch das über¬
getretene Fleisch beinahe ganz bedeckt wird. Die Natur, welche der
Künstler nicht verschönern konnte, hat er ausgewickelter, ange¬
strengter und mächtiger zu zeigen gesucht: da, wohin der größte 30
Schmerz gelegt ist, zeigt sich auch die größte Schönheit. Die linke