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froh, der noch ein bißchen Mehl im Kasten hatte; das trug er
zum Bäcker. Brot war schier noch die einzige Nahrung.
Um diese Zeit lebte ein Bäckerknecht. Der wollte immer
vollauf zu leben haben und hatte kein Mitleid mit dem Elend
der Menge, ja er war so böse, daß er von dem Mehle, das ihm
zum Backen gebracht wurde, für sich hinwegnahm, und wenn Gott
das Brot im Dfen segnete, so nahm er es heraus, berupfte und
verkleinerte es und rief immer spottend für sich: „Guck, guck, noch
zu groß!“ Das sah der liebe Gott, und wie er stets ein Be—
schühßer der Unglücklichen, aber auch ein Bestrafer der Ungerechten
ist, so ließ er auch hier das Verbrechen nicht ungestraft hingehen.
Er nahm dem Bösewicht die menschliche Gestalt und verdammte
ihn, in seinem Bäckerkittel als Vogel zu leben; doch schenkte er
ihm keinen Gesang, sondern gebot ihm, immer nur seinen sünd-
haften Ruf zu wiederholen.
Und so lebt er noch heute in seinem bestäubten Gefieder und
ruft sein „guck, guck“ jedem zu.
Wir aber wollen, wenn wir diesen Ruf hören und unser
Beutelchen hervorziehen, an den lieben Gott denken, wollen ihn
bitten, daß er uns nie mit harter Not heimsuche, und wollen
den guten Vorsatz machen, stets auf dem Wege des Rechtes zu
bleiben, damit es uns nicht ergehe wie jenem Bäckerknecht.
2. Der Wiedehopf.
Erzählt von Dr. Oskar Dähnhardt.
Der Wiedehopf ist einst ein Damenschneider gewesen. Wer
aber sieht es ihm jetzt wohl an, daß er vormals in feiner Ge—
sellschaft gelebt hat? Er hat in einer großen, reichen Stadt ge—
wohnt und sich wie ein hübscher und feiner Gesell gehalten und
einen bunten, seidenen Rock getragen und ist von einem vor—
nehmen Hause in das andere und von einem Palast in den andern
gegangen und hat die kostbarsten Zeuge und Stoffe, woraus er
Kleider machen sollte, nach Hause getragen. Und weil er hübsch
und manierlich gewesen ist, haben alle hübschen Frauen ihn zu
ihrem Schneider genommen und immer hat er Arbeit bei ihnen
gehabt und auch der Königin, als sie gekrönt werden sollte, hat
er den Rock zugemessen.
So ist Meister Wiedehopf bald ein sehr reicher Mann ge—
worden und hat doch nicht genug kriegen können, sondern ist
immer herumgelaufen und hat Arbeit nach Hause geschleppt und
oft so viel zu tragen gehabt, daß er wie ein Karrengaul unter
seiner Last stöhnen und, wenn er die Treppen hinaufstieg, „Huup!
Hupupp!“ schreien mußte. Diese Arbeitseligkeit und Freude am