286
Die ersten Jahre nach dem französischen Kriege vergingen noch im besten Ein-
verständnis; im Jahre 1875 trat zuerst eine Neigung meines russischen Kollegen, des
Fürsten Gortschakow, zu Tage, sich mehr um Popularität in Frankreich als bei uns zu
bemühen und gewisse künstlich herbeigeführte Konstellationen dazu zu benutzen, um der
Welt durch ein hinzugefügtes Telegramm glauben zu machen, als hätten wir 1875
irgend einen entfernten Gedanken daran gehabt, Frankreich zu überfallen, und als wäre
es das Verdienst des Fürsten Gortschakow, Frankreich aus dieser Gefahr errettet zu
haben. Das war das erste Befremden, welches zwischen uns auftrat, und welches mich
zu einer lebhaften Aussprache mit meinem früheren Freunde und späteren Kollegen
veranlaßte. Demnächst und gleichzeitig hatten wir immer noch die Aufgabe festgehalten,
den Frieden zwischen den drei Kaisern festzuhalten, die Beziehungen fortzusetzen, die
zuerst eingeleitet waren durch den Besuch der Kaiser von Rußland und von Österreich
1872 hier in Berlin und durch die darauf folgenden Gegenbesuche. Es war uns das
auch gelungen. Erst 1876 vor dem türkischen Kriege traten uns gewisse Nötigungen zu
einer Option zwischen Rußland und Österreich entgegen, die von uns abgelehnt wurden.
Ich halte nicht für nützlich, in die Details darüber einzugehen; sie werden mit der Zeit
auch einmal bekannt werden. Es hatte unsere Ablehnung die Folge, daß Rußland
sich direkt nach Wien wandte, und daß ein Abkommen — ich glaube, es war im
Januar 1877 — zwischen Österreich und Rußland geschlossen wurde, welches die
Eventualitäten einer orientalischen Krise betraf, und welches Österreich für den Fall
einer solchen die Besetzung von Bosnien u. s. w. zusicherte. Dann kam der Krieg, und
wir waren recht zufrieden, wie daß Unwetter sich weiter südlich verzog, als es ursprünglich
Neigung hatte. Das Ende des Krieges wurde hier in Berlin durch den Kongreß definitiv
herbeigeführt, nachdem es vorbereitet war durch den Frieden von San Stefano. Der
Friede von San Stefano war meiner Überzeugung nach nicht viel bedenklicher für die
antirussischen Mächte und nicht sehr viel nützlicher für Rußland, als nachher der
Kongreßvertrag gewesen ist. Der Friede von San Stefano hat sich ja, kann man sagen,
nachher von selber eingefunden, indem das kleine, ich glaube, 800 000 Seelen umfassende
Ostrumelien eigenmächtig die Wiederherstellung der — nicht ganz — der alten San
Stefano-Grenze auf sich nahm und sich Bulgarien anfügte. Es war also der Schaden,
den der Kongreß in den Abmachungen von San Stefano angerichtet hatte, nicht so sehr
schlimm. Ob diese Abmachungen von San Stefano gerade ein Meisterwerk der Diplomatie
waren, das lasse ich dahingestellt sein. Wir hatten damals sehr wenig Neigung, uns
in die orientalischen Sachen zu mischen, ebensowenig wie heute. Ich war schwer krank
in Friedrichsruh, als mir von russischer Seite das Verlangen amtlich mitgeteilt wurde,
zur definitiven Beilegung des Krieges einen Kongreß der Großmächte nach Berlin ein¬
zuberufen. Ich hatte zunächst wenig Neigung dazu, einmal weil ich in der körperlichen
Unmöglichkeit war, dann aber auch, weil ich keine Neigung hatte, uns so weit in die
Sache zu verwickeln, wie die Rolle des Präsidierens eines Kongresses notwendig mit sich
bringt. Wenn ich schließlich dennoch nachgegeben habe, so war es einerseits das deutsche
Pflichtgefühl im Interesse des Friedens, namentlich aber das dankbare Andenken, das ich
an die Gnade des Kaisers Alexander II. für mich stets bewahrt habe, das mich veranlaßte,
diesen Wunsch zu erfüllen. Ich erklärte mich dazu bereit, wenn es uns gelänge, die
Einwilligung von England und von Österreich zu beschaffen. Rußland übernahm, die
Einwilligung von England zu besorgen, ich nahm auf mich, sie in Wien zu befürworten;
es gelang, und der Kongreß kam zustande.
Während des Kongresses, kann ich wohl sagen, habe ich meine Rolle, soweit ich es