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waren und Raub, Mord und Gewaltthat übten. Sechzigjährige Eichen rissen sie
samt den Wurzeln aus und fochten damit; was sich entgegenstellte, wurde mit Keulen
niedergeschlagen. Einer dieser Riesen, Bodo, warb um die Tochter eines Königs in
Böhmen, welche Emma hieß. Aus Furcht vor des Riesen Macht und Stärke sagte
sie ihm der König Weil sie aber schon einen anderen Liebhaber hatte, der aus
dem Stamme der Menschen war, so widersetzte sie sich dem Bräutigam und dem
Befehle ihres Vaters. Der aufgebrachte König wollte Gewalt gebrauchen und setzte
die Hochzeit gleich auf den nächsten Tag fest. Mit weinenden Augen klagte sie das
ihrem Geliebten, der zu schneller Flucht rieth und sich in der finsteren Nacht einstellte,
die getroffene Verabredung ins Werk zu setzen. Es hielt aber schwer zu entfliehen
denn die Marställe des Königs waren verschlossen und alle Staällmeister ihm treu
und ergeben. Zwar stand des Riesen ungeheuerer Rappe in einem für ihn besonders
erbauten Stalle; wie sollte aber eine schwache Frauenhand das mehr denn zehn
Ellen hohe Unthier leiten, und wie war ihm beizukommen, da es an einer gewaltig
dicken Kette lag, die ihm statt einer Halfter diente und mit einem großen Schlosse
verwahrt war, dessen Schlüssel der Riese bei sich trug. Der Geliebte aber half aus
er stellte eine Leiter ans Pferd und hieß die Königstochter hinaufsteigen; dann that
er einen mächtigen Schwerteshieb auf die Kette, daß sie voneinandersprang und
schwang sich selbst hinten auf. Von den Sporen getrieben, flog das Roß über Berge,
Klippen und Wälder durch Thüringen in die Gebirge des Harzes. Die kluge
Jungfrau hatte ihre Kleinodien mitgenommen, dazu ihres Vaters goldene Krone aufs
Haupt gesetzt. Während sie nun forteilten, fiels dem Riesen ein, in dieser Nacht
auszureiten. Der Mond schien u und er stand auf, sein Roß zu satteln. Erstaunt
sah er den Stall leer, es gab Lärm im ganzen Schlosse, und als man die Königs—
tochter aufwecken wollte, war auch sie verschwunden. Ohne sich lange zu besinnen,
bestieg der Bräutigam das erste beste Pferd und jagte über Stock und Block.
Ein großer Spürhund witterte den Weg, den die Verliebten genommen hatten—
nahe am Harzwalde kam der Riese hinter sie. Da hatte aber auch die Jungfrau.
den Verfolger erblickt, wandte den Rappen flugs und sprengte waldein, bis der
Abgrund, in welchem die Bode fließt, ihren Weg durchschnitt. Angstvoll blickte
Emma in die Tiefe, denn mehr als tausend Fuß ging senkrecht die Felsenmauer
hinab. Tief unten rauschte der Strom und kreiste in furchtbaren Wirbeln. Der
entgegenstehende Fels schien noch entfernter und kaum Raum zu haben für einen
Vorderfuß des Rosses. Der Raͤppe stutzt einen Augenblick, da stößt sie ihm muthig
die ellenlangen Sporen in die Seite. Und das Roß sprang über den Abgrund
glücklich auf die spitze Klippe und schlug seinen Huf vier Fuß tief in das harte Gestein,
daß die Funken stoben. Das ist die Roßtrappe. Die Zeit hat die Vertiefung
lleiner gemacht, aber kein Regen kann sie ganz verwischen. Emma war gerettet, aber
die centnerschwere Königskrone fiel während des Sprunges von ihrem Haupte in die
Tiefe. Bodo, in blinder Hitze nachsetzend, stürzte wegen seiner Schwere in den
Strudel und gab dem Flusse den Namen. Die Bode nämlich ergießt sich mit der
Emme in die Saale. Im Kessel der Bode liegt die Krone noch heutzutage, von
einem großen Hunde mit glühenden Augen bewacht. Schwimmer, die der Gewinn
geblendet, haben sie mit eigener Lebensgefahr aus der Tiefe zu holen gesucht, aber
bei der Rückkehr ausgesagt, daß es vergebens sei; der große Hund sinke immer tiefer,
sobald sie ihm nahe kämen, und die goldene Krone sei nicht mehr zu erlangen.
159. Ein norddeutsches Erntefest.
Von Grube.
Geographische Charalterbilder. Leipzig 1860. 8. Thl. S. 68.
Durch den Teutoburger Wald im Süden und das Süntelgebirge im Norden
begrenzt, wird von Hameln bis an die Porta Westphalica ein etwa zehn Stunden